Die Fallen von Ibex
durch Ödnis, durch ein konturenloses Land, aber der innere Kampf entschied sich zu ihren Gunsten, und es gelang ihr, zu sich selbst zu fliehen; der Transfer fand statt, sie paßte sich wieder ein in jenes Gehirn, das jetzt ihr Gehirn war, und dann empfand sie nur mehr alles überflutende Erleichterung, eine Erleichterung, die sie schwächte und zittern ließ.
Sie öffnete die Augen und sah auf Aleytys hinab.
Jetzt war ihr Gesicht keine seelenlose Maske mehr; die Maske hatte einer entschlossenen Miene weichen müssen. Die Hände, auf die sie hinabsah, waren zu Fäusten geballt. Der Körper war angespannt und verriet den Kampf, der darin tobte.
Unmerklich ließ die Anspannung nach. Das Gesicht verlor seine hektische Rötung.
Vorsichtig schlug Shadith die Decke zurück und hob die Wundauflage an der Schulter an, um sich die blutige Vertiefung anzusehen. Kein sickerndes Blut mehr. Das Loch existierte nicht mehr, und die neue Haut, die sich darüber manifestierte, war hellrosa. Vor ihren Augen verwandelte sich das Rosa in das matte Gold gesunder Haut.
Shadith schloß die Augen, da ihr Kopf vor Müdigkeit und Erleichterung brummte. Sie setzte sich auf die Fersen, schenkte sich noch einen Becher Cha ein. Er war lauwarm und stark genug, daß ein Stein darauf hätte schwimmen können, und er war bitter genug, um ihr Innerstes braun zu färben; Cha-Blätter blieben auf ihrer Zunge kleben, und an ihren Schneidezähnen, und sie mußte plötzlich lachen, noch während sie sie mit der Zunge löste und ausspuckte. Ihr war nach Singen zumute, aber sie saß nur in vibrierender Stille da, ihr war nach Tanzen zumute, aber sie blieb, wo sie war, zu faul, sich zu bewegen, und sie beobachtete, wie sich Aleytys heilte, wie verlorenes Fleisch, verlorenes Blut ersetzt, und wie der letzte zersetzende Hauch des Giftes hinausgeschwemmt wurde.
Irgendwann später - das Feuer war erloschen und die Baumschatten waren drohende Barrieren, die die Lichtung zerteilten setzte sich Aleytys auf und zupfte die Wundauflagen und Gazestreifen ab und ließ sie achtlos zu Boden fallen. Sie kräuselte die Nase, lächelte Shadith an. „Danke.” Gedankenabwesend kratzte sie an den Blutspuren an ihrer Seite und nickte in Richtung Cha-Topf.
„Ist außer dem da noch ein bißchen Wasser übrig?”
„Ein bißchen.” Shadith gähnte, blinzelte. „Soll ich es für dich heißmachen?”
„Ich hätte es sehr gerne heißgemacht, aber ich werde es kalt trinken.” Sie verzog das Gesicht. „Könnte nicht behaupten, daß es mir auf dieser Seite der Berge gefällt. Je früher wir den Paß hinter uns haben, desto wohler werde ich mich fühlen.”
„Hmm-hm.” Shadith nickte, lauschte dem Klappern ihrer Haarperlen und runzelte die Stirn. „Darf ich deinen Kamm benutzen?”
Ich habe mich lange genug mit diesen Klapperdingern herumgeschlagen.”
13
Etwa eine halbe Stunde, nachdem die Sonne den Zenit erreicht hatte, flachte die alte Straße endlich ab; sie hatten den gewundenen Kamm des Passes erreicht. Shadith döste im Sattel, eingeschläfert vom schaukelnden Gang ihres Gyrs und der angenehmen Wärme der Sonne. Unvermittelt hielt das Tier jetzt jedoch an und riß sie ins Bewußtsein zurück.
Aleytys hatte ihr Gyr gezügelt und drängte es jetzt quer über den Paßweg zu einer schrägen Felsplatte hin, die, abgesehen von einer leichten Erosion nahe der Oberkante, noch ziemlich glatt und unversehrt war; große Rinnsale und Staub und krumiges Erdreich verästelten sich auf den ersten Spuren der Verwitterung. Sie wandte den Kopf. „Schau nur, Shadi.” Sie zeigte auf etwas.
„Was?” Shadith rieb sich die Augen, ritt näher heran.
„Er war hier.” Aleytys lächelte und strich über das ordentlich in den Fels gemeißelte Zeichen.
V
Unterwegs zum Meer
1
Shadith gähnte. Ihre Lider hingen so tief über den Augen, daß von dem Schokoladenbraun nur wenig zu sehen war. Sie saß bequem im Sattel vornübergesunken, den linken Fuß im Steigbügel, das rechte Bein angewinkelt vor sich über den Muskeln des Gyrs. Die Haare waren wie Kaskaden aus gold-braunem Flaum rings um ihr schmales, junges Gesicht. In einer Verweigerung allen Zel-Eigentums hatte sie sich die Perlen aus den Haaren gerissen und die seidige Fülle in kaum kontrolliertem Zorn ausgekämmt. Am liebsten hätte sie sich auch der Kleidung entledigt; aber andererseits war es gewiß nicht sehr angenehm, in eine Decke gewickelt zu reiten, und so gehorchte sie diesbezüglich der Stimme der Vernunft.
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