Die Fallen von Ibex
unterschwellig raunten zahllose feindselige Flüsterstimmen wie in einem geisterhaften Chor. Aleytys zügelte ihr Reittier und betrachtete die murmelnde Schwärze mit beträchtlichem Widerwillen.
Shadith fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. „Warum riskieren wir es nicht einfach mit den Mutanten?”
Aleytys zupfte an der Nasenspitze. „Keine schlechte Idee.”
Die Gyori tänzelten nervös, scheuten vor dem Tunnel zurück, sooft Aleytys und Shadith die Zügel lockerten. Die Lippen zu einem harten Strich zusammengepreßt, betastete Aleytys ihren Oberschenkel dort, wo Shadith die Pfeilspitze durchgeschoben hatte. Ihre Finger zitterten. Sie warf ihrer Gefährtin einen Blick zu, schaute wieder weg. „Ich bin noch nicht wieder stark genug… Ich meine, für Psychoduelle.”
„Esgard hat nichts diesbezügliches erwähnt.”
Aleytys zuckte mit den Schultern und schwieg. Noch immer strichen ihre Finger über die längst verheilte Wunde, als könnten sie sie selbst durch das braune Wildleder der Hose hindurch noch spüren. Das ungute Gefühl nahm zu, je länger sie die Mündung des Tunnels anstarrte. Die Dunkelheit hellte sich allmählich auf. Sie vermochte am anderen Ende eine freie Fläche zu sehen, erfüllt von tiefer Dämmerung, sowie weitere jener massigen, gigantischen Bäume. „Der Wald ist nicht so groß”, flüsterte sie. „Und wenn wir diesen Tunnel erst hinter uns haben…” Sie legte den Kopf in den Nacken und spähte zu den stummen Riesen hinauf. Plötzlich war sie nicht mehr besorgt. Sie gab ihrem Gyr die Fersen zu spüren und trieb es an.
Die herabbaumelnden Schößlinge rings um sie her zitterten leicht; weiche Blätter streichelten sie. Das Geflüster änderte sich von einer Sekunde zur anderen, beruhigte sie jetzt, raunte ein süßes, verlockendes Lied. Sie tauchten in den Tunnel ein - und damit in eine Welt stiller Majestät, traumhafter Schönheit. Lindgrün gefärbte Lichtstrahlen, mit Goldstäubchen gesprenkelt, stachen durch das Blätterdach hoch droben und umtanzten die dunklen, stillen Bäume oder berührten hier und da verspielt die wulstigen bleichen Reife zu ihren Füßen - dicht verflochtene Luftwurzeln, zu Kegeln mit breiten Unterseiten geformt.
Esgards Warnung blieb ein winziger Alarmstich in ihrem Hinterkopf, und so gestattete sie dem Gyr nicht, in ein gemächliches Bummeln zu verfallen. Immer wieder trieb sie es an, schneller zu gehen, doch die Wunder dieses Waldes überwältigten ihre Zurückhaltung. Links und rechts erhoben sich die Bäume gerade und glatt sechzig Meter weit in die Höhe, bevor sich bogenförmig die ersten Äste ausstreckten. Diese Äste verwoben sich miteinander, ragten ihrerseits neuerdings empor, überbrückten die gewaltigen Zwischenräume ringsumher und verwuchsen miteinander unzählige Rippen, deren höchster Scheitelpunkt gut achtzig Meter über ihnen liegen mochte.
Das Lied wurde noch lieblicher und ein wenig lauter, ein säuselndes Summen, so angenehm und verlockend wie der intensive grüne Duft der Bäume.
Aleytys gestattet ihrem Gyr, in gemächlichen Trott zu verfallen.
Sie atmet die Schönheit und Gelassenheit ringsumher ein. Sie verspürt vage Neugier hinsichtlich dieses seltsamen Liedes, doch da ist keine Unruhe in ihr. Sie wendet sich nach Shadith um, lächelt ihr zu, sagt jedoch nichts; will um nichts in der Welt den Frieden brechen.
Das Lied wird eindringlicher, lauter und ist doch nach wie vor so lieblich und schön, daß es selbst einem Stein Tränen entlocke könnte. Es webt ein goldenes Netzwerk ringsumher, fädelt sich durch Fleisch, Knochen, Gehirn, bis Körper und Geist in seinem Rhythmus pulsieren. Aleytys hört Shadith in das Singen einstimmen, hört ihre klare, junge Stimme aufgehen in einem wortlosen sich Heben und Senken.
Kleine, braungrüne Gestalten huschen aus den großen Bäumen heran, so schnell, als würden sie gleich Geistern in ihnen leben.
Sie sind durchsichtig wie gefärbtes Glas, zu kleinen, geschlechtslosen Zauberwesen gegossen - etwa ein Meter groß, annähernd wie Mädchen. Die erste huschte lautlos am Straßenrand neben ihnen her, eine zweite gesellt sich zu ihr, dann noch eine und noch eine. Es werden immer noch mehr; sie schmelzen aus dem Schatten heran, sind winzige, nackte Gestalten, die sich mit geschmeidiger Anmut bewegen, mit feinen, grünlichen Haaren, die um schmale Schultern flattern, verlassene Kinder mit grüngoldenen Augen und winzigkleinem Mund, Münder, die vorgeschoben sind, um jenes Summen
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