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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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„Ich glaube, für eine heiße Dusche, Shampoo und saubere Kleider würde ich einen Mord begehen”, sagte sie, als sie neidisch zusah, wie sich Aleytys anzog.
    Aleytys blickte über die Schulter zurück. Hinter ihnen schlängelte sich das schwarze Pflaster in trägen Windungen empor, um schießlich jenseits einer Wölbung des Berges zu verschwinden.
    Der Falke kreiste in weiten, anmutigen Schleifen über ihnen. Der Wind kam von vorn und blies ihnen in die Gesichter, ein sanftes Kribbeln, durchsetzt mit grünen Düften und dem Aroma feuchten Bodens, feuchten Felsgesteins. Von Wiederkäuern oder Raubtieren gab es weit und breit keine Spur, obwohl sie hin und wieder ein leises Geraschel im Gras vernahm. Für einen kurzen Moment schaute sie durch die Augen des Falken, doch das Resultat blieb dasselbe: Die Straße hinter ihnen war leer und verlassen, und die Bergflanken zu beiden Seiten der Straße ebenfalls. Sie tat ihr Unbehagen mit einem Schulterzucken ab und wandte sich Shadith zu. Auf geheimnisvolle Art und Weise schien sich ihre Gefährtin in den vergangenen Tagen - und besonders im Verlauf jener traumatischen Stunden der letzten Nacht - verändert zu haben; Muskulatur und Knochen - alles schien dem geistigen Bild nähergekommen zu sein, das sie von ihr hatte. Oder war es das Mienenspiel, jene Kombination aus Gestik und Gesamtkörpersprache, die sich geändert hatten? Oder gewöhne ich mich einfach an sie? fragte sie sich.
    Andererseits - sie sieht wirklich anders aus. Die Haare? Weiß nicht. Und was spielt es schon für eine Rolle? Sie drehte sich um und ließ ihren Blick noch einmal über die Hänge und die Straße huschen.
    Ein Schatten war ihnen über die Berge gefolgt. Der Schatten eines Schattens - so schwach, daß sie ihn nur fühlen konnte, ein flüchtiges Kribbeln in ihren Nackenhaaren. Ihre Augen und alle ihre anderen Sinne beteuerten ihr, daß dort draußen nichts war allerhöchstens ein Phantom, geboren aus ihrer eigenen überhitzten Phantasie.
    „Was ist los, Lee? Haben wir Läuse im Pelz?”
    Aleytys richtete sich auf. Shadith beobachtete sie, jetzt überhaupt nicht mehr schläfrig, sondern straff aufrecht, die Augen funkelnd, den Anflug eines wilden Lächelns auf dem Gesicht. Aleytys gluckste. „Nur die Ruhe, Mädchen. Ich weiß es nicht”, fuhr sie dann ernster fort. „Da ist so ein komisches Gefühl… Ich kriege es nicht richtig zu fassen. Zu sehen ist jedenfalls nichts und niemand, auch für den Falken nicht. Gespenst.” Sie machte eine wegwerfende Geste und preßte die Hand dann auf ihren Hinterkopf. „Aber das Jucken will einfach nicht verschwinden.”
    Shadith reckte sich und sank dann wieder in sich zusammen.
    „Wenn es nur das ist, vergiß es.” Sie gähnte. „Wenn wir lagern, halten wir abwechselnd Wache, und damit hat es sich. Überhaupt wann lagern wir eigentlich? Die Sonne steht schon tief. Kein Fluß in der Nähe, und damit kein Fisch-Abendessen. Also steht heute Wild auf dem Speiseplan. Das Mehl ist fast aufgebraucht, das getrocknete Zeug auch. Den Rest heben wir uns besser auf für…”
    Das letzte Wort ging in einem neuerlichen Gähnen unter. „Für Notfälle.”
    Aleytys starrte auf ihren und auf Shadiths Schatten, die auf der Bergflanke hinter ihr tanzten, ausgefranste, undeutliche Schatten, so verschwommen wie die Form der Sonne, die hinter den sich zusammenballenden Wolkenschichten glühte - düstere Wolken, schwer von Wasser, Fetzen, die über ihnen dahintrieben, eine Dicke über dem unsichtbaren Tiefland vor ihnen. Die Luft selbst schien feuchter zu werden. „Es wird regnen.”
    Shadith hob den Kopf, schnupperte. „Uh-huh, vielleicht nicht heute abend, vielleicht erst morgen.”
    „Vielleicht. Bist zu wach genug, den Falken zu fliegen und einen Lagerplatz für uns zu finden - einen, wo es Wasser gibt?”
    Shadith schnaubte. „Übernimm dich nicht, Mama. Ich bin kein Kind mehr.”
    „Tut mir leid.” Sie bedachte den schmächtigen Körper mit einem vielsagenden Blick. „Vergesse ich immer wieder.”
    „Pah!” Shadith grinste sie an und bereitete sich dann darauf vor, den Falken zu reiten.
    2
    Am späten Vormittag des nächsten Tages bogen sie um eine Kurve und fanden ein langes und gewundenes Tal vor sich ausgestreckt, dessen Ende in mattem, grauem Dunst verborgen lag; ringsum erhoben sich die Schattenbilder gewaltiger Berge, deren Gipfel in Wolken erstickt waren. Ein Fluß, schiefergrau, der seine Farbe vom düsteren Himmel bezog, schlängelte sich dem Tal

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