Die Fallen von Ibex
ihnen will, das wird ihr mit jeder Sekunde klarer.
Sie nähert sich einem anderen Baum, greift abermals den Wurzelkegel mit der Klinge des Kampfstocks an. Das Wurzelwerk öffnet sich. Eine weitere Dryade. Weitere Knochen. Noch mehr Leichen. Shadith ist nicht darunter. Aleytys zieht sich zurück, geht zum nächsten Baum, versucht jenen Weg einzuschlagen, den sie Shadith einschlagen gesehen hat. Sie ertrinkt in Angst und Schmerzen. Den Stock zu heben und ein weiteres Mal zuzustoßen, ist beinahe mehr, als sie ertragen kann, doch die Vorstellung, daß Shadith in einem dieser bleichen Kokons aus Wurzelfasern sterben soll, erträgt sie noch weniger.
Urplötzlich taucht eine Dryade vor ihr auf, zitternd, fast zu stumpfem Blei verwandelt durch ihr Entsetzen, eine zweite folgt ihr dichtauf mit demselben Widerstreben. Sie erwarten sie, Hand in Hand, wie verängstigte Kinder. Ihre Pein schmerzt sie, doch sie ist entschlossen, sich nicht von ihnen aufhalten zu lassen. Die erste winkt, gemeinsam weichen sie vor ihr zurück. Mißtrauisch geht sie ihnen nach.
Ein Wurzelkegel öffnet sich vor ihr.
Shadith liegt darin, ihr Rücken an den Stamm geschmiegt, während erste bleiche Wurzeln bereits herankriechen und sich um sie winden. Jetzt ziehen sie sich hastig zurück. Aleytys treibt die beiden Zauberwesen vor sich her, in den Wurzeldom hinein; sie vertraut ihnen nicht. Sie huschen zum Stamm hinüber, verbergen sich in der Dunkelheit. Aleytys beachtet sie nicht mehr, sondern kniet, auf den Kampfstock gestützt, neben Shadith nieder. Sie verspürt jähe Lust, den Kreis der saugenden, leise schmatzenden Wurzeln zu verbrennen, jedoch nur für einen winzigen Moment.
Sie schiebt diesen Gedanken von sich, hebt Shadith hoch, nimmt sie in die Arme, und geht rückwärts mit ihr hinaus. Die Gyori warten bereits auf sie. Shadith blutet aus Hunderten winzigster Wunden, aber sie ist am Leben. Sie ist nicht bei Bewußtsein, aber sie ist am Leben.
Unsichtbare Augen beobachten Aleytys, wie sie Shadith auf dem Sattelpolster festbindet. Haß, Angst, Furcht ersticken sie schier, wirbeln rings um sie her; die Bäume hassen sie, und sie knarren und stöhnen diesen Haß hinaus. Sie dreht sich um und taucht wieder in den Wurzeldom hinein, um ihren Kampfstock zu holen, und sie muß sich zwingen, sich trotz der Wellen von Haß und Ablehnung zu bewegen. Der am nächsten befindliche Baum scheint hysterisch zu erzittern, als sie näherkommt, und beruhigt sich wieder, da sie sich abwendet. Sie schiebt den Kampfstock in die dafür vorgesehene Befestigung und schwingt sich in den Sattel.
Sie treibt ihr Gyr an Shadiths Reittier heran, beugt sich hinüber, ergreift den herabhängenden Zügel und bricht, der Straße folgend, auf.
Hinter ihr erhob sich ein schrilles Wehklagen, breitete sich aus und schmetterte gegen sie; die Bäume schwankten, knarrten, stöhnten, die Dryaden kreischten in hohen, jammernden Tönen, die sich in ihren Versand hineinbohrten. Sie trieben sie voran, peitschten auf sie ein, bedrängten sie, sie so schnell wie möglich zu verlassen. Sie war nicht mehr zornig, nein; jetzt war sie nur noch traurig, denn sie wußte, sie taten dies alles nicht aus bösem Willen - sondern allein aus Instinkt und Hunger. Vielleicht haben sie etwas daraus gelernt, überlegte sie. Vielleicht werden es die nächsten, die hier entlangkommen, leichter haben. Sie dachte an den Schatten, der auf ihrer Fährte schnüffelte, und kicherte, als ihr die Ironie bewußt wurde.
„Ich habe ihm den Weg freigemacht… naja, immer vorausgesetzt, es gibt ihn überhaupt.”
Sie versucht den Haß zu ignorieren, der hinter ihr pochte wie ein gewaltiger Trommelschlag, zügelte das Gyr. Nach Westen hin zweigte ein anderer Waldtunnel ab. Derselbe Haß wimmelte darin, und die herabhängenden Stränge peitschten so heftig umher, daß die kleinen Blätter an ihren Enden abrissen. Sie drehte sich im Sattel halb um und funkelte die Bäume an. „Schon gut, ihr!”
herrschte sie sie an. „Ihr wollt mich loswerden - also beruhigt euch.”
Nichts änderte sich, und im Grunde genommen hatte sie dies auch nicht wirklich erwartet. Erschöpft, ärgerlich, beschwor sie das Feuer in ihre Hand zurück - und war ein wenig bestürzt darüber, wie leicht dies geworden war. Vorsichtig ließ sie das Gyr weitergehen. Der Tunnel rechts schloß sich wieder, ein anderer entstand, und noch einer. Unmittelbar vor ihr wucherte plötzlich Gestrüpp.
Sie setzte die Feuerklinge ein, hieb sie durch
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