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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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zu formen, das den ganzen Wald ringsumher erfüllt. Die schlichte Melodie hat sich gewandelt; wird komplizierter, neue Akkorde fügen sich hinzu, lieblicher, herzzerreißender noch als zuvor. Die Zauberwesen drängen heran, drängen sich um Aleytys und Shadith, noch bevor ihnen klar wird, was überhaupt geschieht. Die Gyori halten gemächlich an, bleiben mit hängendem Kopf stehen, von dem Lied benommen bis zur Bewegungsunfähigkeit.
    Für den Augenblick ungestört, betrachtet sie voller Freude die Elfengesichter, und die Dryaden umtanzen sie in einem engen Kreis, schneller, immer schneller und übermütiger, bis sie sich benommen zu fühlen beginnt. Natürlich, denkt sie. Dryadenwald.
    Wie könnte es auch anders sein?
    Doch noch während das Lied und die Schönheit ringsumher in ihr schwingen, beginnt ein vages Unbehagen an der Samtdecke zu kratzen, die sie für sie gewoben haben.
    Shadith hat sich ganz dem Bann der Dryaden ergeben, sie gleitet vom Rücken ihres Gyrs und schließt sich ihrem Tanzen an, wirbelt Hand in Hand mit ihnen umher und ahmt das wortlose Lied mit einer eigenen Melodie nach. Die beiden Kreise teilen sich, öffnen sich, und sie tanzt mit ihnen davon; jedoch der Großteil der Zauberwesen verbleibt rings um Aleytys. Sie sieht Shadith davontreiben, und dem Unbehagen unter der goldenen Stimmung und dem Samt wachsen Stacheln.
    Die Dryaden, die Aleytys umtanzen, verstärken ihr Summen, bedrängen ihren Widerstand, und eine hauchzarte Ungeduld rauht den samtigen Untergrund auf. Bis jetzt hat sie sich dem Lied hingegeben, seinem verführerischen Zauber, seiner Heiterkeit. Sie ist zu Tode ermüdet wegen all der Probleme, die ihre Entscheidungen nötig machen, wegen all der Fragen, die sie quälen. Sie empfindet eine große Erleichterung, da sie jetzt das eine wie das andere beiseite schieben kann, wenigstens für den Moment. Sie hat es satt, sich zu zwingen, stets den Notwendigkeiten entsprechend zu handeln. Da ist so wenig Zeit, zu tun, was sie tun will.
    Doch jetzt wird das Lied der Dryaden zu einem Druck, zu einem Angriff; jetzt ist es keine Verführung mehr. Sie sieht sich um, jählings wachsam, und sieht, daß Shadith verschwunden ist. „Harskari”, ruft sie, hierüber erschrocken, und der rauhe Schrei durchtrennt einen Augenblick lang die betäubende Auszehrung des Dryadenlieds. Sie blockt ab, reißt den stahlbewehrten Kampfstock heran, klemmt ihn sich unter den Arm und treibt das Gyr mit energischen Fersenstößen an.
    Versucht es zumindest. Das Tier bleibt reglos stehen. Nicht einmal mit einem scharfen Stich mitten hinein in seinen Verstand kann sie es erreichen. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkt sie die huschende Bewegung, fährt herum. Zwei Dryaden haben sich auf Shadiths Gyr geschwunden, ergreifen jetzt die Zügel und machen Anstalten, davonzureiten. Es gibt einen plötzlichen kleinen Schmerz tief in ihr - wie von einem Stich. Sie dreht sich herum, starrt auf die Rückseite ihres Oberarms. Ein Stück Flaum sitzt direkt unterhalb des kurzen Ärmels auf ihrer Haut. Sie pflückt es weg. In der Mitte befindet sich ein winziger schwarzer Dorn, sie umschließt den Flaum mit den Fingern, starrt auf die Dryaden hinab; ist sich intensiv bewußt, daß sie ihr Starren erwidern. Sie lächelt; ein breites, freudloses Lächeln. „Nein”, sagt sie. „Dieses Mal nicht.”
    Sie greift hinaus, tilgt das Gift, brennt es aus ihrem Blut. Und sie greift wieder hinaus, trinkt die Energie mit großen Schlucken in sich hinein. Es fällt ihr leicht - leichter als je zuvor, als habe der Kampf gegen die Zel bisher versperrte Kanäle geöffnet. Das Diadem verströmt ein silberhelles Klimpern, flackert geisterhaft ring sum ihren Kopf. Sie kann es nicht sehen, doch sie sieht es in den Dryadenaugen gespiegelt, und sie hört sein phantomhaftes Lied.
    Die Energie wühlt sie auf. Wie in weiter Ferne spürt sie weitere Stiche, doch sie ignoriert sie, bis sie bereit ist, dann brennt sie mit einem Schulterzucken und einem jähen energetischen Hieb das Gift aus sich heraus. Sie breitet die Finger aus. Goldfeuer, so sengend hell, daß die Dryaden vor Angst stöhnen, sammelt sie darum, kreist in Tropfen, wie von geschmolzenem Metall. Sie stößt die Finger vor, auf den am nächsten befindlichen Baum gerichtet.
    Feuer springt als lange, glühend heiße Klinge aus ihrer Hand, und sie führt diese Klinge gegen den Baum. Eine Dryade schreit auf vor Schmerz, als das Feuerschwert durch Rinde in lebendiges Holz hineinfährt. Der Baum

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