Die falsche Frau
Inszenierung vertuscht alle Zeichen des Todes. Sie täuscht Lebendigkeit vor, Verführung. Verstehen Sie, meine Herren? Verführung!«
Wieder kein Kommentar.
»Wissen wir eigentlich, wer die Eltern von Irene Orlinger sind?«, fragte Sarah. »Oder hab ich das schon mal gefragt?«
Semir Aydin schüttelte den Kopf.
»Waren nicht vernehmungsfähig. Mutter Hausfrau, Vater im Einzelhandel. Niemand, nicht mal die Nachbarn konnten mir Auskunft geben.«
»Seltsam«, sagte Rosen. »Wie passt das zusammen? Hat sich Irene nicht als Millionärstochter ausgegeben? Vielleicht war ihr Vater in eine kriminelle Sache verwickelt, und sie wollte ihn erpressen? Morgen Vormittag um elf ist die Beerdigung, da werde ich mir die Trauergäste mal genauer ansehen.«
Das Telefon läutete zum zweiten Mal.
Diesmal ging Karlich dran. Aus seinen Reaktionen war zu schließen, dass der Anruf nichts Gutes bedeutete. Entsetzen lag in seinem Gesicht. Er nickte ein paar Mal Sarah zu und winkte sie dann aufgeregt näher.
»Es ist Julieta, deine Haushaltshilfe«, sagte er und hielt mit einer Hand den Hörer zu. »Sie hat einen fremden Mann im Schlafzimmer zwischen deinen …« Karlich druckste herum » …zwischen deinen Dessous erwischt.«
»Sie hat was?«
Sarah Rosen, die das zuerst für einen Scherz hielt, sprang auf und stürzte zum Telefon. Als das Gespräch beendet war, stand sie wie angewurzelt da.
»Ein Mann, der sich für einen Angestellten einer Reinigungsfirma ausgegeben hat, war mit einem Shampooniergerät vor meiner Tür und hat behauptet, da … da … dass ich ihn bestellt hätte, um den Teppich reinigen zu lassen.«
Sarah Rosen heftete zuerst flehende Blicke auf Karlich, dann auf Schmidt. »Julieta hat gesehen, wie er meine Unterwäsche durchwühlt und mit seinem Taschenmesser einen Schlitz in mein Negligé gemacht hat«, sagte sie atemlos.
»Wie hat denn der Mann ausgesehen?«
»Südländisch. Dunkelhaarig und mit Bart. Und ausgerechnet jetzt ist Georg verreist!«
»Wir dürfen kein Risiko eingehen. Ich schlage vor, Sarah, dass du für ein paar Tage bei mir bleibst«, sagte Bruno Karlich. »Hattest du anonyme Anrufe in letzter Zeit? Ist dir jemand gefolgt?«
»Anrufe keine«, sagte Sarah, »aber …«
»Aber was? Nun sag schon.«
»Ach nichts, es gibt da einen Patienten, der treibt sich öfter im Hotel Orient rum und läuft mir in letzter Zeit häufiger über den Weg, aber ich bin sicher, dass der damit nichts zu tun hat.«
»Sein Name?«
»Marc Sartorius, aber der spielt keine Rolle, glaub mir. Schon rein äußerlich passt der nicht auf die Beschreibung, und auch sonst, diese Art von Belästigung, das passt einfach nicht zu ihm. Der hat so was nicht nötig.«
»Das sagt gar nichts, Sarah. Die Brutalität von Sexualverbrechern kann sich von Tat zu Tat steigern, das weißt du doch. Es fängt an mit Voyeurismus und endet mit Mord. Vielleicht hat er sich mit Perücke und Bart unkenntlich gemacht.«
»Das sind wirklich nur Spekulationen, Herr Kollege!«
Schmidt war schon die ganze Zeit ungeduldig auf seinem Stuhl herumgerutscht, wirkte jetzt aber entschieden aufgeräumter. Warum musste er die Männer eigentlich immer als Idioten hinstellen, und jetzt auch noch Karlich, dem so schlüpfrige Dinge immer äußerst peinlich waren? Kam ihm dieser Vorfall etwa zugute? Oder war das jetzt eine Spur zu weit gedacht, grübelte Sarah. Wer spielte hier gegen wen?
»Stimmt schon«, sagte sie. »Nicht jeder Sadist muss gewalttätig sein. Vielleicht liebt dieser Mann Rollenspiele und lebt seine Fantasien auf diese Weise aus? Für viele ist es erregend, das Verbrechen nur anzudeuten und dem Opfer Angst einzujagen.«
»Und da vergreift er sich ausgerechnet an Ihren Dessous, Frau Doktor? Also ich weiß nicht.« Semir schüttelte den Kopf.
»Rollenspiel hin oder her. Vielleicht war es eine Frau? Eine Frau, die sich als Mann verkleidet. Patrizia Heral zum Beispiel.«
»Phantom der Oper oder was?«
Schmidt hatte wieder eine seiner abfälligen Bemerkungen gemacht.
»Jedenfalls ist François Satek damit erstmal aus der Schusslinie, oder wie sehen Sie das?«, fragte Sarah.
»Weiß nicht«, sagte Schmidt.
»Ich werde mich um ihn kümmern. Das heißt …«
Sarah zögerte und musste schmunzeln. »Er wird sich um mich kümmern. Als mein Bodyguard. Sagten Sie nicht, dass Satek Savate beherrscht?«
25
O BWOHL ERST FRÜHER N ACHMITTAG WAR , schaltete sich die Straßenbeleuchtung ein und schimmerte zwischen feucht rieselnde Nebelwände
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