Die falsche Frau
hindurch. Der Atem hinterließ kurzlebige Rauchwölkchen.
Sarah drapierte sich ihren großen Schal um den Kopf und stand schweigend neben François.
Er kam aus dem Niemandsland. In seinem Kopf waren Erfahrungen gespeichert, von denen sie nicht die leiseste Ahnung hatte. Was wusste sie schon vom Krieg? Was von der Legion?
Sie waren das erste Mal allein. Worüber sollten sie reden?
»Der Cafard kann neun Tage ohne Kopf überleben, bevor er verhungert«, sagte er plötzlich.
»Welcher Cafard?«, fragte sie.
Er zuckte nur mit den Schultern.
François lächelte so seltsam. Und doch, während sie so dastand und irritiert war, ließ die Distanz, die sich eben noch als Moment des Befremdens gezeigt hatte, wie von selbst wieder nach.
Sie mochte seine Stimme, sie verstand die Masken, die er sich aufsetzte, um seine Empfindsamkeit zu verbergen.
Roh war er trotzdem.
»Mögen Sie eigentlich Fisch?«, fragte er wieder wie aus heiterem Himmel. »Goldbrasse in Mandelsoße, dazu Fleischtomaten und frischer Thymian?«
»Du«, sagte sie. »Waren wir nicht beim Du?«
Dann hörte sie, wie er leise ihren Namen aussprach. Es klang französisch und irgendwie sexy. Das zwischen ihnen war doch nur eine Frage der Hormone, und die Vorstellung, der Typ würde einzigartig sein, nichts als ein gewaltiges Phantasma. So pervers wie der Mann, der ihre Dessous durchwühlt hatte, war er sicher nicht.
Vielleicht aber hatte er indirekt mit dem Mann zu tun? Vielleicht war das alles ein Komplott der Mafia, und sie würde bald geknebelt und gefesselt in ihrer eigenen Wohnung verenden?
»Goldbrasse bekommt man am ehesten auf dem Naschmarkt«, sagte Sarah nüchtern.
Sie stiegen in sein Taxi. Es regnete. Die Scheibenwischer tuckerten.
Wie jede Wienerin hatte auch Sarah den Stadtplan im Kopf und ertappte sich dabei, dass sie einen Profi zu lenken versuchte.
»Du musst auf den Gürtel«, sagte sie.
François lächelte. »Ich weiß!«
Nähe Kettenbrückengasse stellte er den Wagen ab. Ein Regenschirm wäre gut gewesen. Dann hätte sie seinen Arm nehmen können. Aber so spürte sie nur ein Kitzeln auf ihrer Haut, diesen feinen Sprühregen, diese Aufregung, die sie durch nichts zu bändigen wusste.
Sarah sah ihn an.
Aus seiner Lederjacke blitzte ein Stück Blau von seinem Hemd.
Manchmal berührte sich der Stoff ihrer Kleidung. Dann wieder ihre Augen. Aber nur flüchtig. Sarah betrachtete sein Profil, die ausgeprägte Nase, den Olivton seiner Haut, das energische Kinn und seinen großen Mund. Sie wollte alles wissen, jeden Gedanken, jedes Gefühl, und sie wollte auch, dass er sich genauso für sie interessierte. Am liebsten hätte sie ihm das auf der Stelle ins Gesicht gesagt oder ihn wenigstens geküsst, damit er sie vielleicht liebte, ein kleines bisschen nur, aber genau das wäre ein Fehler gewesen, sie wusste es, und so ging sie nur still neben ihm her.
Jetzt huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
Vielleicht war er diese Nähe nicht gewohnt und es war ihm unangenehm, aber vielleicht täuschte sie sich auch, und nur sie selbst hatte Vorsicht im Sinn. Doch das sehnsüchtige Prickeln auf ihrer Haut, das war immer noch da, so viel sie auch wünschte und wollte, und ganz tief drinnen hatte sie die Befürchtung, das Prickeln könnte nie, mit keinem Mann dieser Welt, gestillt werden.
»Weißt du wo es hier ein guten Fisch gibt?«, fragte er mitten in ihre Gedanken.
Sarah nickte. »Das Geschäft von Erkan und Gökhan Umar. Noch etwa hundert Meter.«
Normalerweise musste man sich zwischen Massen von Touristen an den Ständen vorbeischieben. Heute war der Markt wie leergefegt. Die Männer mit ihren Tüchern und Pullovern standen verfroren hinter ihren Auslagen. Niemand kaufte.
Zwischen Obstständen und Halal-Metzgern drehten sich mächtige Döner: »Lahamacun, Sis-Kebap, Adana-Kebap«, riefen die Verkäufer, Messer zum Schleifen in den Händen.
Sarah flanierte hier nur selten, kannte sich weder mit Preisen noch mit den Gepflogenheiten der Verkäufer aus. Das war Julietas Aufgabe, die manchmal kiloweise mit Clementinen oder einem Sack Zucchini ankam, als würde sie für eine Großfamilie kochen müssen.
Sarah lief wie eine Schlafwandlerin. Sogar Herr Strmiska und sein Gerede über Champagnerkraut zogen an ihr vorüber. Es gab nichts außer François. Wie kann ich ihn empfangen, dachte sie, wo ich doch eigentlich selbst nur Gast bin. Alles, was sie war und tat, kam ihr immer noch vorläufig vor. Als sei sie nicht richtig angekommen. Doch
Weitere Kostenlose Bücher