Die falsche Frau
irgendwann.
»Gegen jede Dienstvorschrift«, seufzte sie wohlig schaudernd.
»Vollkommen verboten.«
Der Taxifahrer, ein massiger Russe in den Sechzigern, der nur
gebrochen Deutsch sprach, beobachtete uns anzüglich grinsend im Rückspiegel.
Wie meine Hand in ihre Bluse geraten war, hätte ich beim besten
Willen nicht sagen können. Ihre überraschend festen Brüste fühlten sich
verteufelt gut an. Augenblicke später atmete sie schon, als stünde sie kurz vor
dem ersten Orgasmus.
Als ich am Dienstagmorgen leicht verspätet ins Büro kam,
fand ich es zu meinem Schrecken voller Menschen. Ich hatte einen Termin
verbummelt, den ich am Vorabend selbst anberaumt hatte. Neun Uhr,
Fallbesprechung. Jetzt war es zehn nach, und zu meiner Erleichterung schien
auch Helena verschlafen zu haben. Balke, Krauss und Runkel hatten schon ohne
mich angefangen. Ich murmelte eine Entschuldigung und setzte mich an meinen
Platz. Einer der groÃen Vorteile des Chefseins ist, dass niemand schimpft, wenn
man zu spät kommt.
»Klara hat angerufen«, berichtete Balke gerade. »Die Sache mit den
Handys ist anscheinend doch nicht so einfach.«
Der Nachteil ist, dass es spätestens nach dem Mittagessen jeder im
Haus weiÃ.
»Unglaublich, wie viele Handys im fraglichen Zeitraum in der
fraglichen Funkzelle waren. Es sind Tausende von Datensätzen, die sie auswerten
muss.«
»Wir suchen nach einem, das nach der Brandnacht nie wieder im Netz
war«, warf ich ein in der Hoffnung, es möge eine kluge Bemerkung sein. Niemand
schien sie zur Kenntnis zu nehmen.
»Klara denkt aber, sie kriegt das bis morgen hin«, fuhr Balke fort.
»Sie hat einen Cousin, der Informatik studiert und ihr ein Programm schreibt.
Damit kann sie die Daten automatisch nach verschiedenen Kriterien sortieren.«
»Hoffentlich kommt nie raus, was wir da machen«, stöhnte Evalina
Krauss.
»Wieder mal typisch«, maulte Rolf Runkel. »Die Gerichte behindern
nicht die Ganoven, sondern uns, die Polizei.«
»Haben Sie schon von der Demo gehört?«, fragte Krauss, an mich
gewandt.
»Es hat was in der Zeitung gestanden von einer unangemeldeten
Demonstration«, sagte ich vorsichtig. »Ich habe es aber nur flüchtig
überflogen. Ich war heute Morgen ein bisschen ⦠na ja, spät dran.«
Anlass der illegalen Kundgebung, die sich anfangs auf dem Marktplatz
und später auf dem nicht weit davon entfernten Kornmarkt abgespielt hatte,
waren wir selbst. »Bullen killen Jonas«, hatte die Parole gelautet. »Mord im
Dienst des internationalen GroÃkapitals.« Diese und ähnliche Sprüche hatten auf
Plakaten gestanden, welche die Demonstranten an massive Holzstangen getackert
hatten. Als die Kollegen nach wiederholten Aufforderungen zur Auflösung der
ungenehmigten Versammlung schlieÃlich handgreiflich werden mussten, hatten die
Demonstranten diese Stangen rasch zu handlichen und äuÃerst wirkungsvollen
Schlagstöcken umfunktioniert. Der Einsatzleiter hatte jedoch seine
Deeskalationskurse zum Glück nicht umsonst besucht. So hatte es am Ende so gut
wie keine Verletzten gegeben. Einige der Demonstranten aus vorderster Linie
hatte man zur Feststellung der Personalien vorübergehend in Gewahrsam genommen.
Inzwischen waren die meisten schon wieder auf freiem FuÃ.
»Haben Sie auch den Kommentar dazu gelesen?«, fragte Krauss, während
Helena lautlos eintrat, nach einem verlegenen Nicken in meine Richtung stumm an
ihrem Schreibtisch Platz nahm. Das Nicken war völlig unverfänglich gewesen,
ohne Augenzwinkern oder auch nur ein Lächeln.
»Nein«, gab ich zu.
»Dieser Stober hat ihn geschrieben. Der schieÃt sich anscheinend auf
uns ein. Wieso wir so brutal mit den armen Demonstranten umspringen, wo die
doch angeblich ganz friedlich gewesen sind.«
Die Zwillinge hatte ich am Morgen nur kurz gesehen. Sie waren wütend
gewesen auf mich, aber es war zu keinen neuen Diskussionen gekommen. Nachdem
sie wie üblich in letzter Minute losgezogen waren, hatte ich mich wieder an
meinen PC gesetzt und festgestellt, dass ihre Gruselgeschichten vom Vortag im
Wesentlichen den Tatsachen entsprachen. Nicht nur bei dem Bohrloch im Golf von
Mexiko und bei dem Hochhaus in Port-au-Prince hatte man am Beton gespart. Auch
in vielen anderen Ländern der Dritten Welt hatte die HBC â oft mit Auftrag der
US-Regierung â GroÃprojekte abgewickelt
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