Die falsche Frau
Zielfahnderinnen
Feierabend«, erklärte sie vergnügt. Dann wurde sie plötzlich ernst. »Man muss
es ab und an aus dem Kopf kriegen. Man wird sonst verrückt.«
Wir nahmen an dem kleinen, quadratischen Tisch Platz. Ich auf der
Bank an der Wand, sie auf dem Stuhl gegenüber, mit dem Rücken zum Fenster.
Die obersten drei Knöpfe ihrer Bluse standen offen. Mindestens einer
zu viel, fand ich. Ãber ihrem ohne Anstrengung sichtbaren Brustansatz baumelte
eine hübsche bunte Kette. Zudem duftete sie nach einem für meinen Geschmack
eine Spur zu schwülstigen Parfüm. Sie musste es sich erst kurz vor unserem
Aufbruch an den Hals getupft haben, denn den Tag über war mir nichts
aufgefallen.
Ihr Ernst war schon wieder verflogen. »Was war das für ein Wein, den
wir letztes Mal hatten?«, fragte sie unternehmungslustig. »Ich nehme wieder
denselben.«
Sie hatte die Unterarme auf den Tisch gestützt und sich ein wenig
vorgebeugt, sodass es mir schwerfiel, nicht unentwegt auf ihre keineswegs zu
verachtende Oberweite zu starren. Aber ich war für so etwas immun. One-Night-Stands
waren nicht mein Fall. Schon gar nicht mit Kolleginnen. Und dann gab es ja noch
Theresa. Obwohl â¦
Unser Wein kam. Wir lachten gerade über irgendetwas. Sie hatte ein
schönes, unverkrampftes Lachen, wenn sie so entspannt war wie heute. Dieses Mal
bestellten wir kein Schnitzel, sondern Steaks mit Kräuterbutter und
Bratkartoffeln.
Und natürlich sprachen wir am Ende doch wieder über die Terroristin.
»Träumen Sie manchmal von ihr?«, fragte ich.
»Oft«, erwiderte sie mit plötzlichem Ernst. »Man darf sich nicht zu
sehr einlassen. Wenn man sich zu lange mit einem Menschen beschäftigt, dann
fängt man am Ende noch an, zu denken wie er. Zu fühlen wie er.«
Sie spielte mit ihrem braunen Haar, sah mir öfter in die Augen als
nötig. Wir bestellten zwei weitere Viertel. Das Lokal war inzwischen bis auf
den letzten Platz besetzt. Die Luft war vom Essensgeruch feucht und schwer
geworden. Ich war immer noch müde, fühlte mich dennoch merkwürdig wohl.
Irgendwann begann Helena Guballa, mir wortreich etwas zu erklären.
Dazu zeichnete sie eine Skizze, wofür ihre Serviette herhalten musste. Damit
ich besser sehen konnte, rutschte sie von ihrem Stuhl zu mir herüber auf die
Bank. Unsere Unterarme berührten sich. Sie fühlte sich warm an. Unsere Köpfe
kamen sich nah. Plötzlich fand ich ihr Parfüm gar nicht mehr schwülstig, und
wenn sie wollte, konnte Helena Guballa eine ziemlich anziehende Frau sein.
Schon viel zu lange berührten sich unsere Knie unter dem Tisch. Gewiss nicht
zufällig streifte ihre Hand die meine. Während sie weiter zeichnete und in
einem fort redete, entdeckte ich, dass sie Linkshänderin war.
Plötzlich sah sie auf, lächelte mich an, ein tiefer Blick aus unergründlichen
rehbraunen Augen. Mir wurde bewusst, dass sie heute keine Brille trug.
»Bisschen laut hier«, sagte sie leise, »finden Sie nicht auch?«
»Sollen wir ein paar Schritte gehen?«, schlug ich vor.
Sie nickte mit einem Glitzern in den Augen, als hätte ich einen sehr
unanständigen Vorschlag gemacht. Wir bezahlten, die schwüle Luft vibrierte, in
meinem Kopf waberten warme Nebel. Der freche Student, der uns bedient hatte,
war nicht davon abzubringen, ich hätte drei Viertel Wein gehabt und nicht nur
zwei. Helena Guballa lachte jetzt über alles und hatte heute nichts dagegen
einzuwenden, dass ich ihre Rechnung übernahm.
»Nächstes Mal bin ich aber dran«, meinte sie kichernd, als wir zum
Ausgang drängelten.
Wir traten in die kühle Nachtluft hinaus, und sie hakte sich ganz
selbstverständlich bei mir unter. Ohne dass wir uns abgesprochen hätten, gingen
wir rasch und im Gleichschritt in Richtung Osten, bogen an der nächsten Ecke
rechts ab, erwischten an der Friedrich-Ebert-Anlage, ohne auch nur eine Sekunde
warten zu müssen, ein freies Taxi, fielen lachend und erhitzt auf den Rücksitz.
Helena schmiegte sich sofort und unerwartet hemmungslos an mich.
Seit einiger Zeit waren wir offenbar beim Du. Ich küsste sie nicht weniger
selbstverständlich, und sie schmolz in meinen Armen, als hätte sie seit Jahren
keine fremden Lippen mehr auf den ihren gefühlt.
»Was wir hier treiben, ist aber ziemlich unprofessionell, liebe Frau
Kollegin«, sagte ich
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