Die falsche Frau
von
Sneider, was in diesen fünfundvierzig Minuten geschah. Unmittelbar nach unserem
Telefonat wählte er eine lange Nummer und sprach mit jemandem in Washington,
DC, wo es zu diesem Zeitpunkt vier Uhr morgens war. Von der Behörde, für die er
arbeitete und deren Namen er mir immer noch nicht verraten hatte, wurde sein
Anliegen an das amerikanische AuÃenministerium weitergereicht. Ein hoher
Beamter, der dort seinen Bereitschaftsdienst absaÃ, klingelte daraufhin zwei
leitende Mitarbeiter der CIA aus den Betten. Einer der beiden telefonierte mit
einer Dame in der amerikanischen Botschaft in Berlin, die sich schlieÃlich mit
jemandem im deutschen Innenministerium in Verbindung setzte.
Zwei Stunden später hatte Klara Vangelis sämtliche Dateien, die sie
für ihre Recherchen benötigte, auf ihrem privaten Laptop, und ich hoffte
inständig, dass niemals irgendjemand von dieser gesetzeswidrigen,
weltumspannenden Amtshilfe erfahren würde.
»Vielleicht schaue ich in den nächsten Tagen wieder mal bei Ihnen
vorbei«, sagte sie, bevor sie gut gelaunt ans Werk ging. »Sie hatten recht. Ich
habe wirklich ein bisschen Heimweh nach meinem Büro.«
Jakoby war nicht vorbestraft, erfuhr ich beim Mittagessen
von Rolf Runkel, der auf seine neue, verantwortungsvolle Aufgabe stolz zu sein
schien. Jakoby hatte noch nicht einmal Punkte in Flensburg, was nicht weiter
verwunderlich war, denn er besaà keinen Führerschein.
Am späten Nachmittag erschien Runkel ungerufen bei mir, um nun schon
etwas ausführlicher Bericht zu erstatten. Zur Welt gekommen war Jakoby vor
einunddreiÃig Jahren auf einem Bauernhof in der Nähe von Ansbach. Nach der
mittleren Reife hatte er eine Lehre als Möbelschreiner begonnen und als
Jahrgangsbester Bayerns abgeschlossen. AnschlieÃend hatte er noch einige Monate
in der Firma seines Lehrherrn gearbeitet, der ihn jedoch trotz seiner
Qualitäten wegen plötzlicher wirtschaftlicher Turbulenzen entlassen musste.
Schon damals hatte Jakoby sich für den Umweltschutz und gegen die
Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf engagiert. Er hatte sich an Gleise
gekettet, in Betonklötze einbetonieren lassen, tagelang bei Minustemperaturen
und Eisregen in Baumwipfeln campiert. Niemals war er jedoch als gewalttätig
aufgefallen.
»Und wie hat es ihn nach Heidelberg verschlagen?«
Runkel zog eine leidende Grimasse. Er machte nicht den Eindruck
eines Menschen, der drei Wochen Urlaub hinter sich hatte. Vermutlich hatte er
tatsächlich wieder einmal an seinem Haus in Ziegelhausen herumgebaut. Erst vor
wenigen Jahren hatte er im stattlichen Alter von achtundvierzig Jahren eine
Philippinin geheiratet, von der Balke hartnäckig behauptete, Runkel habe sie im
Internet gefunden, sich jedoch beim Eintippen der Bestellnummer irgendwie
vertan. Die Angetraute â die ich bisher nie zu Gesicht bekommen hatte â war
nach Balkes Ãberzeugung die definitiv hässlichste Frau der Welt. Und mit dieser
Frau zeugte Runkel nun nahezu im Jahrestakt Nachwuchs. Weshalb sein Häuschen in
regelmäÃigen Abständen vergröÃert werden musste.
»Weià ich noch nicht«, gestand der Häuslebauer. »Ich weià nur, vor
drei Jahren ist er zum ersten Mal hier aufgetaucht. Seither hat er keinen
festen Wohnsitz mehr. Und richtig was gearbeitet hat er anscheinend auch
nicht.«
»Wovon lebt er dann?«
»Putzen, Gemüsekisten schleppen beim Mannheimer GroÃmarkt, Zeitungen
austragen. Aber immer nur für ein paar Wochen. In letzter Zeit soll er sogar
gebettelt haben. Alles, was dem gehört, passt in seinen komischen Rucksack, das
muss man sich mal vorstellen! Die anderen in der WG sagen, er wär immer wieder
mal aufgekreuzt, aber nie lang geblieben. Anscheinend hat er verschiedene von
diesen Chaotenwohnungen gekannt und da gepennt, wo grad was frei war. Bei
diesen Chaoten ist das anscheinend so üblich, dass man nichts fürs Ãbernachten
zahlt.«
»Was ist mit Freunden? Kumpels?«
»Nichts. Kennen tun ihn viele. Mögen tut ihn anscheinend keiner. Ich
mein halt, der ist sogar den Chaoten ein bisschen zu chaotisch.«
»Denken Sie denn, Jakoby ist wichtig?«, fragte Helena Guballa,
als Rolf Runkel die Tür mit kräftigem Ruck hinter sich zugezogen hatte.
»Jemand, der mit der Waffe auf einen meiner Leute zielt, ist für
mich immer wichtig«, erwiderte ich ungnädig. »AuÃerdem interessiert
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