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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Bundeskanzlerin würde am Ende kleine Zugeständnisse andeuten,
munkelte man, jedoch nichts Substanzielles. Und in spätestens zwei Stunden
würde sie wieder abheben in Richtung Frankfurt, wo eine Regierungsmaschine auf
sie wartete, um sie nach London zu bringen.
    Was für ein Leben, dachte ich. Ein Leben, das vermutlich zu fünfundneunzig
Prozent aus Show, Symbolik, Lächeln und falschen Freundlichkeiten bestand.
Freundlichkeiten auch noch gegenüber den letzten Kotzbrocken. Aber die
Kanzlerin schien trotz allem ihren Spaß zu haben. Jedenfalls sah ich sie
angeregt mit Henderson plaudern und schäkern. Offenbar erzählte er gerade,
begleitet von großen Gesten, eine aufregende Geschichte aus seinem an
aufregenden Geschichten nicht armen Leben. Am Ende lachte man höflich. Angela
Merkel lachte herzlich, verschluckte sich sogar, führte die vornehme
Tuchserviette zum Mund und hustete zweimal.
    Â»Fake«, sagte eine Stimme neben mir. »Alles nur Fake.«
    Ich wandte den Kopf. Neben mir im Halbdunkel stand von Lüdewitz.
    Â»Rausgeschmissene Steuergelder«, fügte er abfällig hinzu.
    Â»Sie erleben so was öfter, nehme ich an?«
    Â»Ã–fter, als mir lieb ist. Und es regt mich jedes Mal wieder auf, das
ganze Getue. Die Arbeit machen später die Staatssekretäre. Und die Ergebnisse,
falls es welche gibt, verkaufen die Herren Minister am Ende als ihre Erfolge.«
    Eine Weile beobachteten wir schweigend das stumme Essen, Trinken und
Plaudern im Speisesaal. Der Bundeskanzlerin fiel etwas von der Vorspeise von
der Gabel und verschwand im Nirgendwo unter dem Tisch. Jemand in meiner Nähe
lachte gedämpft. Tapfer lächelnd tupfte sie auf ihrem Rock herum. Henderson
tat, als hätte er nichts bemerkt.
    Im Überwachungsraum herrschte ansonsten angespannte Ruhe. Computer
summten, Funkgeräte knackten, leise Stimmen gaben hin und wieder kurze
Meldungen durch, ausschließlich auf Englisch. Manchmal sprach auch einer der
drei Kollegen vor den Monitoren in ein Mikrofon. Zwei waren erfahrene
Mitarbeiter der Sicherungsgruppe Berlin, die solche Veranstaltungen vermutlich
bereits tausend Mal hinter sich gebracht hatten. Der dritte war ein Amerikaner,
dessen narbiges Gesicht ich noch nie gesehen hatte.
    Â»Holla«, sagte von Lüdewitz halblaut. »Was macht denn die Guballa
hier?« Er deutete mit seinem rundlichen Genießerkinn auf den linken Monitor.
»Ich dachte, die hat Urlaub?«
    Â»Sie haben sie bisher noch gar nicht getroffen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie scheint mir erfolgreich aus dem Weg
gegangen zu sein.«
    War das etwa der Grund, weshalb Helena unsere Kantine gemieden
hatte? Sie stand sich immer noch im Foyer die Füße platt. Viel lieber wäre sie
natürlich im Speisesaal gewesen, in Hendersons Nähe, aber dort hatte sie nun
wirklich nichts zu suchen. Ich klärte ihn darüber auf, dass sie seit vier
Wochen in Heidelberg war, um nach Judith Landers zu fahnden.
    Â»Die alte Geschichte?« Er grinste nachsichtig. »Sie gibt wohl nie
auf.«
    Â»Warum sollte sie?«, fragte ich mehr verwirrt als verwundert.
    Â»Weil wir seit Ewigkeiten Beweise dafür haben, dass diese Frau
Landers nicht mehr lebt. Ein Verkehrsunfall irgendwo im Norden Indiens.
Vorletztes Jahr im Mai, wenn ich mich recht erinnere. Aber die Kollegin will es
wohl nicht glauben.«
    Â»Das heißt«, sagte ich langsam, während ich versuchte, die in meinem
Kopf herumwirbelnden Gedanken und Gefühle zu ordnen, »sie ist nicht mit
offiziellem Auftrag in Heidelberg?«
    Â»Wenn, dann weiß ich nichts davon«, erwiderte von Lüdewitz mit
achtlosem Schulterzucken. »Kann natürlich sein, dass es irgendwelche neuen
Sachverhalte gibt, die ich nicht kenne. Seit ich in Berlin bin, bekomme ich
natürlich manches nicht mehr mit.«
    Im Speisesaal wurde die Suppe aufgetragen.

48
    Sönnchen wollte am nächsten Morgen alles ganz genau wissen.
Ob die Bundeskanzlerin eher groß oder eher klein war (irgendwie dazwischen), ob
sie mich angesehen habe (nicht eine Sekunde), ob sie ihren Mann mitgebracht
habe (definitiv nein), ob der deutsche Wirtschaftsminister auch im richtigen
Leben immerzu lächle (absolut nicht, er hatte sogar ziemlich finster
dreingeguckt und sich das Lächeln beim Händeschütteln sichtlich abquälen
müssen), wie Henderson denn in echt aussehe (wie der Sheriff in einem schlechten
amerikanischen Western,

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