Die falsche Frau
völlig unwahrscheinlicher Seite.
»Chef, das glauben Sie nicht«, sagte Evalina Krauss, als sie im Lauf
des Vormittags in mein Büro platzte. »Grad hab ich einen Zeugen am Telefon
gehabt, der den Mann bei dem abgebrannten Haus auch gesehen haben will. Er
behauptet, er kennt den.«
Ein wenig atemlos von den Treppen plumpste sie auf einen Stuhl. »Er
behauptet steif und fest, er hätte das Gesicht schon mal gesehen. Das Dumme ist
bloÃ, er kennt den Namen nicht. Jetzt will er in seinen Unterlagen nachsehen
und sich dann wieder melden.«
Ich legte den Kugelschreiber auf den Schreibtisch. »In seinen
Unterlagen?«
Sie zuckte die Achseln. »Das hat er gesagt. Er hat ein bisschen â
wie soll ich sagen â komisch geklungen. Gestelzt irgendwie. Aber nicht
verrückt, verrückt nicht. Ich glaub auch nicht, dass er ein Trittbrettfahrer
ist. Oder noch einer von diesen Wichtigtuern.«
DrauÃen schien heute die Sonne von einem mit weiÃen Wölkchen
gesprenkelten Himmel. Der Herbst konnte sich noch nicht recht entscheiden, wie
er werden wollte. Meine Mitarbeiterin sprang auf und eilte davon.
Keine Viertelstunde später saà sie mir wieder gegenüber. Ihre Miene
war jetzt weniger optimistisch.
»Er hat schon wieder angerufen«, sagte sie. »Ich glaub, der spinnt
doch. Diesmal hat er ganz komisches Zeug geredet, vom Weltall und vom zweiten
Hauptsatz der Thermodynamik und dass aller Kampf gegen die Unordnung vergebens
ist. Ich hab nicht alles verstanden, ehrlich gesagt. Jedenfalls hat er nichts
gefunden in seinen sogenannten Unterlagen.«
»Und jetzt?«
»Also, entweder, wir vergessen ihn â¦Â«
Ich erhob mich. »Oder wir rücken dem guten Mann mal ein bisschen auf
den Pelz.«
Eberhard Zorn war ein klein gewachsener, hagerer Mann, der
auf den zweiten Blick nicht so gut gekleidet war, wie es auf den ersten wirkte.
Er wohnte in einem stattlichen Haus in einem der besseren Viertel von
Neuenheim. Während des kurzen Telefongesprächs, mit dem ich unser Kommen ankündigte,
hatte er verhalten bis ablehnend reagiert. Mein Vorschlag, er könne ja
stattdessen in die Direktion kommen, hatte allerdings noch weniger Begeisterung
ausgelöst.
Der Hausherr empfing uns an der Tür in einem dezent zerknitterten
dunkelblauen Anzug und frisch geputzten, jedoch schon etwas abgetretenen
Halbschuhen, die aussahen, als wären sie vor langer Zeit einmal teuer gewesen.
Wir machten uns bekannt, drückten Hände.
»Es wird sich wohl nicht vermeiden lassen«, sagte der angebliche
Zeuge, ehe er zur Seite trat, um uns einzulassen.
Im Inneren des Hauses war es düster, und es roch, als wäre lange
nicht gelüftet worden. Am Boden links im Flur stapelten sich Zeitungen.
Eberhard Zorn schlüpfte aus seinem Sakko und hängte es sorgfältig über einen
Holzbügel an einer schmiedeeisernen Garderobe, die vor fünfzig Jahren der
letzte Schrei engagierter Innenarchitekten gewesen sein mochte. Dann lockerte
er mit gemessenen Bewegungen seine Krawatte, knüpfte umständlich die
Schnürsenkel seiner Schuhe auf und tauschte sie gegen blau karierte
Hauslatschen. Offenbar hatte er sich stadtfein gemacht, nur um uns die Tür zu
öffnen.
»Meine Kollegin, Frau Krauss, kennen Sie ja schon«, begann ich das
Gespräch leutselig, als er mit dem Umkleiden fertig war.
Er nickte und musterte sie mit einem Blick, als hätte er Angst vor
ihr.
»Sie sagten am Telefon, Sie hätten eine der Personen erkannt, die
bei dem Brand ums Leben gekommen sind.«
Dieses Mal schüttelte er den Kopf mit dem akkurat frisierten,
silbergrauen Haarkranz.
»Zunächst«, begann er nach einem verlegenen Räuspern, »ist âºerkanntâ¹
hier nicht das passende Wort, da ich den Herrn ja nicht kenne und auch nicht
gekannt habe. Ich habe ihn lediglich wiedererkannt, da ich sein Gesicht schon
einmal irgendwo â und ich kann bisher keineswegs sagen, wo â gesehen habe. Zum
Zweiten kann ich selbstredend nicht behaupten, dass der Mann, den ich gesehen
habe, bei dem tragischen Vorfall ums Leben kam.«
Eberhard Zorn verfügte über eine kräftige, sauber artikulierte
Stimme.
»Darf ich fragen, weshalb Sie überhaupt dort waren?«
Er räusperte sich erneut. »Weil ich dort spazieren zu gehen pflege.
Morgens um acht und abends noch einmal um fünf. Ich befinde mich im Ruhestand.
Man braucht einen Rhythmus. Man geht
Weitere Kostenlose Bücher