Die falsche Frau
Ende auch die Anzeige wegen Trunkenheit am Steuer und
Fahrerflucht im Sand. Die vom Schicksal gebeutelte und vor Gericht so elend
demontierte Mutter bezog im Jahr darauf zusammen mit ihrem Mann und den beiden
verbliebenen Kindern ein schönes neues Haus in einem angenehmen Viertel
Houstons. Und vermutlich erfreute sich heute irgendein hoher Staatsanwalt eines
neuen Swimmingpools oder einer Doppelgarage samt hubraumstarkem Inhalt.
Zweitausendacht wurde der Republikaner George W. Bush durch den
Demokraten Barack Obama ersetzt, und Ron Henderson stand vorübergehend im politischen
Abseits. Aber bereits zwei Jahre später übernahmen die Republikaner erneut die
Macht im Repräsentantenhaus, und der politische Wind drehte sich gegen Obama.
Um dort und in den Chefbüros der GroÃindustrie für gute Stimmung zu sorgen,
berief Obama den zeitlebens parteilos gebliebenen Ron Henderson zum
Wirtschaftsminister.
Und so kam nun Heidelberg zur Ehre seines hohen Besuchs.
Und ich selbst dazu, mir um sein Wohlergehen Gedanken und
mittlerweile auch ein wenig Sorgen machen zu müssen.
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Am Dienstag geschah nichts.
Helena Guballa tippte und telefonierte und tippte. Die Gerichtsmediziner
bemühten sich, das kriminaltechnische Labor machte seine Untersuchungen, ohne
bisher irgendwelche Ergebnisse vorweisen zu können. Inzwischen hatte ich
herausgefunden, warum auf dem Schreibtisch der Zielfahnderin niemals etwas
herumlag: Sie steckte ihre Notizzettel immer in ihre Handtasche, nachdem sie
das darauf Geschriebene in ihren Laptop übertragen hatte. Unter ihrem Tisch
stand nicht einmal ein Papierkorb.
Schon seit dem Frühstück regnete es in groÃen, trägen Tropfen, und
der Himmel sah aus, als sollte es eine Weile so bleiben. Nicht einmal eine
Sitzung im Rathaus lockerte den trübsinnigen Tag auf. Ich war seit dem
Aufstehen müde und gereizt und hätte nicht sagen können, weshalb. Da sonst
nichts anlag, versuchte ich, den Aktenberg auf meinem Schreibtisch ein wenig
abzutragen, aber es gelang mir schlecht.
Sönnchen ging mir aus dem Weg, nachdem sie festgestellt hatte, dass
mit mir nichts anzufangen war, und zu allem Ãberfluss sagte auch noch Theresa
unser abendliches Treffen ab. Sie hatte endlich die zündende Idee für ihr neues
Buch gefunden, sprühte vor Ideen und konnte angeblich gar nicht so schnell
schreiben, wie die Muse sie abknutschte. Da war natürlich kein Platz für so
irdische Dinge wie ein bisschen Liebe. (Du klingst so komisch in deinen SMS.
Ist irgendwas??? â Nein, es ist nichts. Hab nur schlechte Laune.)
Einen kleinen Lichtblick bildete der Nachmittagskaffee, den ich mit
Sönnchen zusammen einnahm. Helena Guballa war seit dem Mittag wieder einmal
unterwegs, um Menschen zu interviewen, die Judith Landers irgendwann gekannt
oder getroffen hatten.
»Haben Sie denn jetzt endlich alle Geschenke für Ihre Töchter?«,
fragte meine unersetzliche Sekretärin, die den kommenden Termin offenbar
ebenfalls in ihrem Kalender stehen hatte.
»Die groÃen Sachen habe ich am Samstag besorgt. Ich brauche
unbedingt noch irgendwas Originelles. Irgendwas, womit sie ganz und gar nicht
rechnen.«
»Wie wärâs mit einem Ausflug in den Europapark?«
»Auf Achterbahnen wird mir schlecht.«
»Sie könnten ja zugucken.«
»Ich weià nicht ⦠Ich glaube, mir wird schon schlecht vom Zugucken.«
Wir diskutierten noch ein wenig hin und her. Aber auch Sönnchen
hatte letztlich keine besseren Ideen als ich.
DrauÃen goss es immer noch.
An diesem Tag machte ich zeitig Feierabend, gönnte mir abends ein
Glas Rotwein mehr als gewöhnlich, ärgerte mich über die Zwillinge, die
ausgerechnet heute kein Bedürfnis nach der Gesellschaft ihrer Freunde
verspürten. Und hätte mich vermutlich ebenso geärgert, wäre es anders gewesen.
Ich ging mir selbst auf die Nerven und legte mich früh schlafen in der Hoffnung
auf einen besseren Tag.
Auch am Mittwochmorgen, fünf Tage nach dem Brand, waren
die beiden Leichen immer noch namenlos. Keine Vermisstenmeldung passte auf die
Toten. Die Beschreibung der Armbanduhr in den Zeitungen, die Gravur, das teure
Fahrrad â nichts hatte mehr als tote Spuren gebracht und Hinweise, die in
Sackgassen führten. Auch meine Hoffnung, ein Zahnarzt könnte uns bei der
Identifizierung helfen, schien sich nicht erfüllen zu wollen. Hilfe kam wie so
oft von unerwarteter und
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