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Die falsche Frau

Die falsche Frau

Titel: Die falsche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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niemanden Rücksicht genommen,
auch nicht auf die eigenen Leute. Verräter oder Abweichler wurden hingerichtet.
Es wäre genau ihre Art, Probleme aus der Welt zu schaffen.«
    Â»Bleibt die Frage: Was hatten die beiden vor? Und wer ist der zweite
Tote?«
    Â»Nicht Judith, nach allem, was wir bisher wissen.«
    Beide Fenster waren gekippt. Das Rauschen des Verkehrs vermischte sich
mit dem Rauschen des Herbstwinds in den Bäumen, deren bunte Blätter
herumwirbelten.
    Â»Es fällt mir immer noch schwer zu glauben«, sagte ich nach kurzem
Schweigen, »dass eine Frau, die inzwischen über fünfzig Jahre alt ist, ihre
Terroristinnenvergangenheit längst hinter sich gelassen hat, plötzlich wieder
auftaucht und einen neuen Anschlag plant.«
    Â»Zu ihren Motiven kann ich nichts sagen«, entgegnete meine Kollegin
ruhig. »Aber eines weiß ich: Judith wird niemals ein Risiko eingehen. Sie
vertraut niemandem. Und wer nicht ihr Freund ist, ist ihr Feind.«
    Â»Klingt ziemlich paranoid.«
    Â»Wäre sie nicht so, dann säße sie im Gefängnis oder wäre tot. Judith
war immer schon eine Perfektionistin. Sie würde sich niemals, wie Inge Viett
damals, aus reinem Übermut und Leichtsinn ein Wettrennen mit Polizisten quer
durch Paris liefern. Wenn Judith etwas tut, dann hat es einen Sinn und ein
Ziel. Zumindest in ihrem Kopf.«
    Â»Halten Sie sie für … geisteskrank?«
    Â»Aber nein, überhaupt nicht!« Sie klang regelrecht empört. »Aus
ihrer Weltsicht heraus handelt sie vollkommen logisch und konsequent. Verrückte
überleben in diesem Umfeld nicht lange.«
    Meine Tasse war leer. Die meiner Gesprächspartnerin noch halb voll.
    Â»Und wo liegt die Logik, wenn man den amerikanischen Wirtschaftsminister
tötet? Wo ist die Verbindung? Das Motiv?«
    Â»Wie gesagt, über ihre Motive weiß ich nichts. Henderson könnte ein
Symbol sein, denke ich. Der Prototyp des fiesen Kapitalisten, der für Geld über
Leichen geht. Millionen von Menschen – und das meine ich wörtlich – würden
vermutlich Beifall klatschen, rund um die Welt.«
    Â»Ich weiß nicht …« Ich stellte die Tasse auf den Schreibtisch und
schlug die Beine übereinander.
    Mit ruhiger Miene erwiderte sie meinen Blick.
    Â»Warum tun Sie das?«, fragte ich. »Wie kommt man zu so einem Beruf?«
    Â»Ich bin Polizistin wie Sie.« Jetzt lächelte sie wieder ein wenig.
»Mit demselben Recht könnte ich Sie fragen, weshalb Sie in Fällen ermitteln,
die Sie eigentlich Ihren Untergebenen überlassen sollten.«
    Ich lachte. »Das Thema hatte ich hier schon öfter. Ich bin nun mal
kein Verwaltungshengst. Im Grunde hasse ich Akten und Statistiken und diesen
ganzen Kram. Ich bin Polizist geworden, weil ich mich für Menschen interessiere
und für ihre Schicksale und nicht für Zahlen. Kripochef bin ich eigentlich nur
durch Zufall geworden.«
    Â»Dafür scheinen Sie es nicht schlecht zu machen.« Sie war sehr viel
hübscher, wenn sie lächelte.
    Â»Könnte es sein, dass Sie meiner Frage ausweichen?«
    Wie bei einer Lüge ertappt, senkte sie den Blick. »Ich habe Psychologie
studiert«, sagte sie nach kurzem Schweigen. »Aus ganz ähnlichen Beweggründen
übrigens wie die, die Sie eben genannt haben. Aber dieses Elend mit der
Statistik – auch hier haben wir etwas gemeinsam –, es war einfach nichts für
mich. Wie Sie wollte ich mit Menschen zu tun haben und nicht mit Zahlen und Wahrscheinlichkeiten.
Der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist nur, dass ich mich sehr viel länger
mit einem Menschen befasse als Sie.«
    Jetzt erst wurde mir bewusst, dass auch ich lächelte.
    Â»In meinem Beruf kann ich tun, was mir am meisten Spaß macht«, fuhr
sie so zögernd fort, als würde sie zum ersten Mal über diese Fragen nachdenken.
»Mich in einen Menschen hineinversetzen. In seine Gedanken, in seine Gefühle.«
Sie wandte den Blick zum Fenster. »Und allmählich sollten wir vielleicht wieder
an unsere Arbeit gehen.«

17
    Am Nachmittag kamen die vorläufigen Laborberichte. Ich
rief Balke und Krauss zu mir.
    Â»Prochnik ist eindeutig identifiziert«, begann ich, während die
beiden noch auf ihren Stühlen herumrutschten. »Die Rastatter Kollegen haben
endlich seinen Zahnarzt aufgetrieben. Er hat seine Praxis vorletztes Jahr
aufgegeben. Deshalb hat es so lange

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