Die falsche Frau
Kindern, meine ich?«
»Ja.«
»Sie haben sicher nichts dagegen, dass ich das überprüfen lasse?«
»Doch.« Sie schluckte ihre Angst herunter. »Eigentlich schon. Das
hier ist Privatbesitz, und Sie haben mir keinen Durchsuchungsbeschluss
gezeigt.«
Ersatzweise hielt ich ihr meinen Dienstausweis unter die im
Herbstlicht glänzende Stupsnase. »Frau â¦Â«
»Inka Hübchen.«
»Frau Hübchen, in einer Viertelstunde habe ich einen Durchsuchungsbeschluss,
und Sie haben richtig groÃen Ãrger. Wollen Sie das? Denken Sie an die Kinder.«
Sie roch ein klein wenig nach Zimt und Lebkuchen und schüttelte erst
zögernd, dann entschlossen den Kopf.
Mein Handy hatte noch immer keinen Ton von sich gegeben.
Inka Hübchen hatte die Wahrheit gesagt. In dem Haus lebten
zurzeit zwei Paare und eine alleinerziehende Mutter mit insgesamt sieben
Kindern. Alle Erwachsenen bis auf sie selbst waren zurzeit arbeiten. Die
Pflicht der Kinderbetreuung und -beaufsichtigung wanderte in der WG nach einem
ausgeklügelten System von einem zum Nächsten. Und alles in allem schien es in
diesem Zwischending aus Land- und Stadtkommune gesitteter und geordneter zuzugehen
als in vielen normalen Familien. Die Kinder waren aufgeweckt und fürchteten
sich nicht einmal vor der Polizei.
Irgendwann kam der erlösende Handyanruf: Balke hatte offenbar einen
Streifschuss abbekommen, wenn ich seine wirren Worten richtig deutete. Er
blutete zwar heftig, konnte sich jedoch aus eigener Kraft fortbewegen. Im
Tumult hatte er irgendwie sein Handy verloren und lange nicht wiedergefunden.
AuÃerdem war er rasend wütend und brannte darauf, dem Kerl den Hals umzudrehen,
dem er so heldenhaft nachgestellt hatte.
Der aber war vorerst spurlos verschwunden.
»Was wissen Sie über den Mann, der vorhin so eilig weggelaufen
ist?«, fragte ich die Frau, als Aufregung und Staub sich ein wenig gelegt
hatten.
»Wenig«, erwiderte sie mit schiefem Mund. »Vorgestern ist er auf
einmal hier aufgekreuzt und hat gesagt, er heiÃt Jonas. Das hier ist ein
offenes Haus. Hier darf jeder wohnen, der ein Dach über dem Kopf braucht. Nicht
für immer natürlich, aber für eine gewisse Zeit schon.«
»Auch, wenn Sie ihn nicht kennen?«
»Solange er keinen Ãrger macht, ja. Wenn sie anfangen, lästig zu
werden, dann werden sie für Gemeinschaftsarbeiten eingeteilt, Unkraut jäten,
Geschirr spülen, Kartoffeln schälen. Dann sind sie in der Regel bald wieder
verschwunden.« Zum ersten Mal lächelte sie ein wenig.
»Sie sagten, Sie wissen wenig über diesen Jonas. Wenig ist mehr als
nichts.«
»Anja kennt ihn. Anja ist die dritte Frau im Haus, die ohne Mann.
Wir haben gedacht, Jonas sei vielleicht der Vater von ihrem Kleinen. Jedenfalls
haben die beiden manches zu reden gehabt.«
»Und wo finde ich diese Anja zurzeit?«
»Sie jobbt bei Henckenhaf und Koch in Viernheim.«
»Der Softwarefirma?«
»Genau. Sie putzt. Eigentlich hat sie Philosophie studiert und
deutsche Literatur und Journalistik.«
»Und mit so einer Ausbildung findet man keinen besseren Job?«
»Sie wallrafft. Anja schreibt an einem Buch über verdeckte Armut in
unserer sogenannten Wohlstandsgesellschaft.«
»Ist sie da irgendwie erreichbar?«
Frau Hübchen schüttelte den Kopf. »Die Putzerei läuft über einen
Subunternehmer. Der sitzt in Prag und springt mit seinen Leuten um, als würden
wir noch im Frühkapitalismus leben. Wer mehr als drei Tage im Jahr krank ist,
fliegt. Wer sein Pensum dreimal nicht in der vorgeschriebenen Zeit schafft,
fliegt. Wer bei der Arbeit ein Handy dabeihat, fliegt. Nicht, wer während der
Arbeit telefoniert, das würde man ja noch verstehen. Sie dürfen nicht mal ein
Handy in der Tasche haben.«
Ich bat einen uniformierten Kollegen, mir die Nummer der Viernheimer
Softwarefirma zu beschaffen. Dort erreichte ich jedoch nur einen
Anrufbeantworter, der mich darüber belehrte, dass ich auÃerhalb der üblichen
Geschäftszeiten anrief.
»Sagen Sie Ihrer Mitbewohnerin bitte, sie soll sich unbedingt bei
mir melden, sobald sie nach Hause kommt.«
»Normalerweise kommt sie erst nach halb elf.«
Inzwischen wusste ich, dass Inka Hübchen Kunst studiert hatte und
als Teilzeitlehrerin an der Albert-Schweitzer-Schule unterrichtete.
»Warum haben Sie vorhin eigentlich nicht aufgemacht, als
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