Die falsche Frau
ich
geklopft habe?«
Sie sah mir fest in die Augen. »Weil ich dachte, Sie kommen vom
Vermieter. Der Typ ist so ein Arschgesicht. Wir wohnen hier schon zehn Jahre.
Wir haben eine Menge am Haus gemacht, auf unsere Kosten, und er kocht uns
ziemlich ab mit der Miete. AuÃerdem lässt er das Haus verlottern. Wir teilen
die Miete durch fünf, und das ist es uns wert. Aber seit dem Sturm im letzten
Winter ist das Dach undicht, und wir sehen nicht ein, dass wir das nun auch
noch auf unsere Kappe nehmen sollen. Wir haben ihm einen netten Brief geschrieben,
er möge es bitte in Ordnung bringen. Aber nichts. Wir haben ihm ein weniger
freundliches Einschreiben geschickt und eine Frist gesetzt und mit
Mietminderung gedroht. Wieder nichts. Und seit Juni zahlen wir eben gar nichts
mehr, und jetzt tut dieser Hohlkopf auf einmal so, als hätten wir ihn enteignet,
und lässt seinen Anwalt mit Polizei und Räumung drohen.«
Ich bat sie um eine Beschreibung ihres geflüchteten Gastes oder
vielleicht auch Fotos, auf denen er zu sehen war. Stattdessen hielt ich kurze
Zeit später ein aus dem Handgelenk gezeichnetes Porträt in Händen.
»Nicht schlecht«, staunte ich.
Sie strahlte. »Porträtzeichnen war immer mein Lieblingsfach.«
28
»Paps!«, empfingen mich meine wieder mal empörten Töchter.
»Wir haben gelesen, dein amerikanischer Minister hat ein Baby totgefahren! Und
er ist überhaupt nicht dafür bestraft worden!«
»Ich weië, erwiderte ich entspannt und schlüpfte aus den Schuhen.
»Ich habe es auch gelesen.«
»Wenn er nach Heidelberg kommt, könntest du ihn nicht einfach
verhaften, und dann wird er eben hier verurteilt?«
»Er hat in den USA vor Gericht gestanden und ist freigesprochen
worden. Damit ist er von Rechts wegen unschuldig. AuÃerdem genieÃt er als
Politiker Immunität. Er könnte hundert Menschen vor Zeugen ermordet haben, und
ich könnte trotzdem nichts machen. Ich darf nicht.«
Das fanden sie nun gar nicht in Ordnung.
»HeiÃt das, die Gesetze gelten nicht für Politiker?«
»Doch, natürlich. Aber Mister Henderson ist Amerikaner. Er hat den
Unfall in Amerika gebaut. Und wenn ein Richter dort beschlieÃt, dass es in
Ordnung ist, wenn er betrunken Babys totfährt, dann habe ich das zu
akzeptieren.«
»Aber â¦Â«, stammelte Louise verwirrt. »Das ist doch ⦠total
ungerecht!«
»Bloà weil der Typ fett Kohle hat, steht er doch nicht über dem
Gesetz?«, assistierte Sarah.
»Ich kannâs nicht ändern, Mädels.« Ich setzte mich an den Küchentisch.
»Gerechtigkeit ist leider immer nur eine ungefähre Sache.«
»Aber â¦Â«, sagte Louise zum zweiten Mal und schluckte. »Das Baby! Es
ist tot! Er war besoffen! Es hat Zeugen gegeben!«
»Das Erste ist bewiesen, das Zweite ist nur eine Behauptung. Und der
angebliche Zeuge war ein stadtbekannter Alkoholiker, der zwei Tage später
spurlos verschwunden ist.«
»Weil Henderson ihn geschmiert hat.«
»Auch dafür gibt es keine Beweise. Und übrigens, nicht alles, was im
Internet steht, ist wahr.«
»Wir sind nicht blöd!«, fauchte Sarah.
»Das habe ich auch nicht behauptet.«
Nein, ich würde mich nicht provozieren lassen. Nicht heute.
»In der amerikanischen Verfassung steht, alle Menschen sind vor dem
Gesetz gleich!«
»Das ist mir bekannt.«
Ich erhob mich, um den Kühlschrank zu inspizieren. Meine aufgewühlten
Töchter klebten an meinen Fersen. Ich klappte die Kühlschranktür wieder zu,
nahm einen Zettel aus der Box im Regal, um eine Einkaufsliste zu machen. Zu
diesem Zweck setzte ich mich wieder an unseren runden Esstisch aus Kiefernholz.
Die Zwillinge blieben stehen.
»Gerechtigkeit ist ein Idealziel«, sagte ich, »das die Menschheit
nie ganz erreichen wird. Das wisst ihr aus eigener Erfahrung. Wenn ihr in der
Schule was ausgefressen habt â¦Â«
»Ja«, sagte Louise ungeduldig. »Schon.«
»Nein«, stieà Sarah hervor. »Hier gehtâs doch nicht darum, dass
einer was ausgefressen hat. Der Typ hat ein Baby totgefahren!«
»Die Frau sagt so, Henderson so. Die Frau behauptet, er ist zu
schnell gefahren, er sagt das Gegenteil. Wenn man nichts beweisen kann, dann
hat das Gericht zugunsten des Angeklagten zu entscheiden. Das ist schon seit
den alten Römern so.«
Warum verteidigte ich diesen
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