Die falsche Frau
Terroristen.
Die Rädelsführer der Bauernkriege waren in den Augen ihrer Zeit Terroristen.
Die Männer des zwanzigsten Juli waren aus Sicht der Nazis selbstverständlich
Terroristen. Ohne die Terroristen der Vergangenheit wären wir heute immer noch
Leibeigene.«
»Das alles ist mir auch klar«, stöhnte ich. »Ob einer in den Geschichtsbüchern
als Verbrecher steht oder als Freiheitskämpfer, hängt davon ab, wer gewonnen
hat. Aber es gibt nun mal Gesetze in unserem Land. Und meine Aufgabe ist es nun
mal, dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden.«
Die Art, wie sie das Wort »Natürlich« aussprach, war hart am Rande
der Beleidigung.
»Ich persönlich bin mit unserem gegenwärtigen System ganz
zufrieden«, fuhr ich fort. »Und vor allem lege ich keinen Wert darauf, dass
irgendwelche dahergelaufenen Spinner ein neues installieren, das dann
vermutlich bald in einer Diktatur enden würde.«
Sie sah mich erstaunt an. Schluckte eine scharfe Erwiderung
herunter.
»Wie kann man denn mit diesem System zufrieden sein, um Himmels
willen?«, fragte sie stattdessen. »Gesellschaftssysteme müssen sich ändern,
immer wieder, weil die Bedingungen sich ständig ändern. Im Mittelalter war die
Monarchie die beste aller Regierungsformen, weil eine Demokratie gar nicht
funktioniert hätte. Heute ist das anders. Heute können die Menschen lesen, sie
haben Fernsehen und Internet. Sie sind informiert. Und der Ãbergang von einem
System zum anderen verläuft in den seltensten Fällen friedlich.«
»Und die leitenden Polizeibeamten dürften seinerzeit auch nicht
übermäÃig entzückt gewesen sein von den Unruhen.«
Lange starrten wir schweigend in verschiedene Ecken.
»Theresa, bitte«, sagte ich schlieÃlich. »Das hat doch keinen Sinn.
Ich habe keine Lust zu streiten.«
»Weil du weiÃt, dass du im Unrecht bist«, versetzte sie kühl. »Das
sind doch wichtige Themen, mein Gott!«
»Du brauchst mich nicht mit âºmein Gottâ¹ anzusprechen.«
Die Bemerkung hatte ein Scherz sein sollen und bewirkte das genaue
Gegenteil.
»Du steckst in einem Konflikt«, stieà sie hervor, »und willst es
nicht zugeben, weil du dann nämlich in Argumentationsschwierigkeiten kämst.«
Ich schluckte die Bemerkung herunter, dass ich auf kostenlose
psychologische Beratung durch Hobbyanalytikerinnen gut verzichten konnte.
»Ich finde, du solltest wieder rauchen«, sagte ich stattdessen.
Fast hätten wir beide gelacht. Auch Theresa fühlte offenbar, dass
sie den Bogen überspannt hatte. Sie rückte wieder näher. Aber die Stimmung war
verdorben. Da half auch Sekt nicht mehr. Später kleideten wir uns schweigend
an. Der Kuss, den wir zum Abschied tauschten, schmeckte kalt und förmlich.
DrauÃen regnete es immer noch.
An diesem Abend begann ich, Ron Henderson zu hassen.
32
Am Sonntag erreichte mich eine neue Hiobsbotschaft: Abu
Thala alias David Hinrichs war verschwunden. Tagelang hatte er sein Hotelzimmer
im Norden Athens kaum verlassen. Nach Erkenntnissen der Amerikaner hatte er in
dieser Zeit nicht telefoniert, keine anderen jungen Männer getroffen, sich
nicht an Orten herumgetrieben, wo sich viele Menschen aufhielten. Und nun war
er einfach weg.
»Liebekind hat schon angerufen«, eröffnete mir Sönnchen am
Montagmorgen. »Sie sollen bitte gleich in sein Büro kommen.«
»Halten Sie den Mann denn für eine ernsthafte Bedrohung?«, fragte
mein Chef, noch bevor er meine Hand losgelassen hatte.
»Ja und nein«, erwiderte ich. »Die al-Qaida stöÃt alle Tage finstere
Drohungen aus. Die Amerikaner scheinen die Sache allerdings ziemlich ernst zu
nehmen. Wir können nur hoffen, dass sie seine Spur wiederfinden, bevor er
Deutschland erreicht. Er wird hier im Umfeld Kontaktleute haben. Für das, was
er vermutlich plant, braucht er Waffen, Sprengstoff, Ortskenntnis. Das schafft
er nicht allein. Es muss Unterstützer geben.«
»Halten Sie es für möglich, dass er mit dieser ominösen Judith
Landers in Kontakt steht?«
»Für möglich halte ich zurzeit vieles.«
»Wie denken die Amerikaner über diesen Punkt?«
»Das weià ich nicht. Sie rücken praktisch nur die Informationen
heraus, die wir sowieso schon haben.«
»Sie haben heute Morgen auch den Artikel in der Zeitung gelesen?«
Ich nickte. Angelo Stober
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