Die falsche Herrin
dieses auf dem Kopf in den Nauen balanciert haben. Während aber die anderen Träger ans Ufer zurücktappten, hat es sich zwischen den Stoffballen versteckt.»
Der Nauen habe um sieben Uhr in der Früh abgelegt. Zwei Stunden durchpflügt er das Wasser, bis die Umrisse der Stadt Luzern auftauchen.
«Es war Markt an diesem Tag», erinnert sich der Schiffer. «Viel Volk war am Landesteg.» Plötzlich habe er ein Aufklatschen im Wasser gehört. Leute hätten aufgeregt zum Nauen gezeigt. Er habe das Mädchen im eiskalten Wasser prusten und um sich schlagen gesehen.
«Es konnte nicht schwimmen.» Aber die Bitzenin sei nicht abgesoffen. «Sieben Leben, wie eine Katze.»
Schafft es ans Ufer und bietet der Stadt einen Anblick, den sie nicht so rasch vergisst. Es herrschte eine Kälte wie selten, der Atemhauch gefror einem vor dem Mund. In Rossdecken gehüllte Händlerinnen wärmten ihre Hände über einem Kohlebecken. Eine von ihnen schälte sich aus der Decke, um Schnee von der Plache ihres Marktstands zu schütteln. Danach kroch sie sofort wieder in die Wärme zurück.
Und da entstieg dem See eine junge Frau. Aus ihren schweren Landschuhen spritzten Fontänen. Sie zog die Schleppe ihres klatschnassen Kleids über die Ufersteine, hinter ihr gefror der Stoff sofort zu einem Segel aus Blech. In diesem klirrenden Harnisch bahnte sich dieses Geschöpf mit rudernden Armen einen Weg durch die Stände. Als habe es den See durchschwommen, um hier durch die Marktstände weiterzuschwimmen. Vorbei an den händeringenden Händlerinnen zum Stadttor hinauf.
Alles um sie sei erstarrt.
Erst als diese Erscheinung das Stadttor erreicht hatte, kam Leben in die Leute. Die Händlerinnen schrien durcheinander. Schneeballen flogen der Fliehenden hinterher. Doch diese schwamm weiter, ohne sich umzusehen, durchs Stadttor hinaus und aufs Land. Immer nach Westen. Nach dem Punkt, wo eine fahle Sonne stand.
Es ist der 2. März 1724. Im Rathaus von Schwyz wird ihr Verschwinden protokolliert. «Sie hat das geschworene Urteil gebrochen und hat sich aus unserem Land hinweggemacht. Unser flinkes Ärgernis bringt den Welschen wenig Freude. Und wir müssen uns wegen einer der Unsrigen in Grund und Boden schämen.»
Nicht einmal Joannes’ Wäscherinnen können dieses Mädchen verstehen, die ihm doch mit ganzer Inbrunst wünschen, dass es sich über die Bottiche erhebe. Eine für alle.
Wenn sie vor Gericht aussagen könnten! Wenn Wäscherinnen aus Zug eine Stimme hätten!
«Hohe Herren», würden sie sagen, «die Kleine hat als Sechsjährige Wäsche am Stein geschrubbt, bis die Knöchel bluteten und ihre Knie im durchnässten Rock erfroren. Dabei war sie nur ein Fädchen. Aber es stimmt, sie hat sich nie hingekuscht. Jetzt ist sie fort. Das ist gut. Eine Gluße Hoffnung für uns, die sich rackern, die an die dürre Brust ihre hungernden Kinder setzen, von denen sie eins ums andere verlieren. Denn den Wäscherinnen ist kein Himmelreich verheißen. Sie welken vor der Zeit. Und sie sterben vor der Zeit. Ihr soll es besser gehen.»
Die Bitzenin wird in Schwyz von niemandem vermisst. Doch ein paar Waschfrauen denken an sie. «Vielleicht zählt das ja, wenn ein paar Armselige an sie denken.»
Versailles!
In Richtung des Schimmers, der über eine Pfauenfeder läuft, hat Magnus gesagt.
In Richtung des Gewässers, in dem die Sonne versinkt.
Anna Maria reist zu Fuß im Schutz der Nacht. Sie meidet Städte und Dörfer, schläft unter Brücken, im Dickicht, auf einem Bett aus Stein. Ab und zu nimmt ein Karren sie ein Stück weit mit. Ein Flößer setzt sie über den Fluss. Sie verspricht Belohnung. Leicht gehen Versprechen ihr über die Lippen. Dazu ein treuherziger Blick. Ihre Jugend. Ihre Anmut. Ihr Wort. Dasjenige einer Betrügerin und Lügnerin. Wer, den Lohn fordernd, sich am zerlumpten Mieder zu schaffen macht, erschrickt zu Tode über dem Gezeter. Hat ein leeres Ranzli. Aber ist eine Königin.
«Auf meiner Haut ist das Zeichen einer Pfauenfeder. Mein Name ist in den Himmel gezeichnet, weil ein Mensch erst ein Mensch ist, wenn er dort seinen Namen eingetragen hat.»
«Es muss etwas geben, das unseren Schriftzug trägt», hat Magnus gesagt. «Sonst müssen wir uns am Ende der Tage fragen, was zum Teufel wir hier gemacht haben, wozu es uns gegeben hat. Oder gar, ob es uns überhaupt je gegeben hat.»
Sie überschreitet Grenze um Grenze.
Im April erreicht sie Frankreich, von dem alle reden, nach dem alle sich richten. Das
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