Die falsche Herrin
Das Ross trabt nie weiter als bis zur Schlattlibrücke, und in Brunnen kehrt es auf dem Vorplatz der Sust. Nie steigt die Redingin aus. Hin und wieder hebt ein Lilienhändchen den Vorhang am Verdeck.
Um die Bewohner von Schwyz zu sehen? Den Grund und Boden, den ihr Vater als Landammann regiert? Oder um ihr Herrenhaus von ferne anzuschauen? Entzückt über das Leuchten der Fassade im Föhnlicht? Überrascht, dass der Wohnsitz der Reding im Vergleich zu den Tätschhäusern so überaus riesig ist?
Nach wenigen Stunden biegt die Chaise in die Toreinfahrt des Herrenhauses. Die Redingin wandert wieder über die Kieswege des Gartens, in Erwartung der nächsten Ausfahrt, des nächsten und übernächsten Jahrzehnts.
Die Bitzenin sei nicht mehr in Schwyz, wird im März bekannt. Sie habe bei Redings immer pünktlich die Wäsche besorgt. Diese Maria hat keinen Anlass zu Klagen gegeben. Doch dann ist beim Glockenschlag des fünfundzwanzigsten Morgens kein Dampf aus dem Waschhaus gekommen. Niemand trat an, als man Maria rief. Und ein Medaillon sei verschwunden.
Mehr erfährt die Bevölkerung nicht.
«Die Kleine hat wohl jetzt ihr Studium abgeschlossen.» Die Waschfrauen in Zug wünschen ihr Glück. Sie sagen, dass sie Anna Maria vermissen. Was haben sie zusammen geklönt, dazu die Hemden von Joannes auf die Steine geschlagen und geschrien vor Lachen! Ohne sie ist es still und grau. Sie tappen durch die Feuchtigkeit wie Kaulquappen und knien sich vor Berge dreckiger Wäsche. Ein Tag ist wie der andere. Nachts fallen sie müde ins Stroh. Und keine Krume Zeit ist des Aufhebens wert. So kommt es, dass sie viel von der Kleinen sprechen.
«Am Ende des Waschtags hat sie jeweilen ihre Haube gelöst und die nassen Lumpen abgelegt. Wir vernahmen schon von weitem ihr Jauchzen, wenn wir vom See zurückkehrten. Nackt stand sie vor dem Waschhaus und schwang ein klatschnasses Tuch über dem Kopf. Auch wir haben uns die Kleider vom Leib gerissen. Wir sind barfuß über die Bottiche getanzt, haben gelacht und geprustet. Aus Furcht vor Joannes hat die Bitzenin die Tür nicht aus den Augen gelassen, sondern mit der Ferse den Laugenbottich ertastet, den Fuß zum Rand hinaufgezogen und dann ein Bein ums andere rückwärts ins warme Wasser gestellt. Danach ist sie langsam am Bottich entlanggerutscht und hat sich schmatzend hineingesetzt. Da saß sie dann im lauen Wasser, einen Arm um den Kopf geschlungen, die Beine über den Rand gehängt. Sie sang und träumte vor sich hin und ließ Tropfen über den Bauch rieseln. Aber immer hatte sie die Tür im Blick.»
Joannes stand draußen, das Auge am Astloch. Machtlos. Verdammt zum Zusehen, wie seine Weiber die kostbare Lauge verspritzen und durch sein Waschhaus tanzen mit verschwitzten Gesichtern, nassen Waden und hüpfenden Brüsten. Wie sie kreischend mit den Fingern auf die Bäuche trommeln und mit der flachen Hand auf die Gesäßbacken klatschen.
Der Herr und Meister war dieser Verschwendung der Lauge durch gautschende Weiber ausgeliefert, hilflos wie ein kleines Kind. Denn hätte er sich an der Tür gezeigt, wären sie über ihn hergefallen wie ein Schwarm wild gewordener Wespen.
Jetzt die Stille. Der Nebel. Und die Melancholie von ihrem See.
Auch Joannes poltert ohne Grund. Nichts heitert ihn auf. Das Säuseln des Munifisels habe sein Mündel ja kaum gestreift. In Schwyz seien sie viel zu lind.
«Sie hat sich eine Zukunft erdacht», meint eine der Waschfrauen, «im Bottich von Joannes.»
«Sie hat nicht weiter geschaut als bis zur Nasenspitze», antwortet die andere. «Welche Zukunft ist das denn, wenn Bluthunde dich hetzen und du Wälder und Schluchten durchqueren musst?»
«Die Kleine kennt die Prügel, den Hunger, die Pein. Sie hat ihr Leben schon einmal aufs Spiel gesetzt. Für die falsche Richtung, wie sich später herausgestellt hat. Der Ort, den sie sucht, liegt in Richtung des Sonnenuntergangs.»
Die Gestrichene sei in Brunnen aufgetaucht. Ein Schiffer hat sie erkannt. Das ausdruckslose Gesicht sah er am Pranger. Aber er habe das Mädchen aus den Augen verloren. Vor der Sust lag sein Nauen und wurde mit Grautuch beladen. Es habe Betrieb geherrscht, ein Geschrei und Durcheinander von Händlern, Verkäufern, Trägern.
«Es waren viele von der Großen Schiffig da. Fahrgäste warteten auf einen Geusler. Wie immer musste hart um einen günstigen Zolltarif gehandelt werden. Mag sein, dass das Mädchen sich unter die Träger gemischt hat und nach einem Bündel griff. Es wird
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