Die falsche Tochter - Roman
liebt sie uns. Tief in ihrem Herzen liebt sie uns. Ich weiß es.«
»Suzanne, ich will dich wirklich nicht verletzen. Aber wenn ich es dir nicht sage, dann wird es dir später nur noch mehr wehtun.«
Er ergriff ihre Arme und hielt sie fest, als sie versuchte, sich ihm zu entwinden. »Sie empfindet Mitleid für uns. Sie fühlt sich uns gegenüber verpflichtet. Und vielleicht – wenn wir ihr
genug Zeit lassen und sie nicht bedrängen – wird sie eines Tages auch etwas für uns empfinden.«
»Ich möchte, dass sie nach Hause kommt.«
»Ich weiß, Liebes.« Jay drückte seine Lippen auf ihre Stirn.
»Ich möchte sie im Arm halten.« Suzanne schlang sich die Arme um die Taille und schaukelte hin und her. »Sie soll wieder ein Baby sein, damit ich sie im Arm halten kann.«
»Das wünsche ich mir auch. Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, aber das wünsche ich mir von ganzem Herzen. Einfach nur … sie einfach nur berühren.«
»Oh Gott, Jay.« Sie wischte ihm eine Träne von der Wange. »Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid.«
»Vielleicht könntest du ja stattdessen mich festhalten, nur ein einziges Mal. Oder zulassen, dass ich dich in den Arm nehme.« Er schlang seine Arme um sie. »Lass mich dich einfach halten, Suzanne.«
»Ich habe all die Jahre versucht, stark zu sein, und jetzt kann ich nicht mehr aufhören zu weinen.«
»Ist schon gut. Wir sind ja allein. Es erfährt ja niemand.« Jay ging durch den Kopf, wie lange es schon her war, dass Suzanne ihn so nahe an sich herangelassen hatte, dass sie ihren Kopf an seine Schulter gelegt und die Arme um ihn geschlungen hatte.
»Ich dachte … als ich das erste Mal zu ihr gegangen bin, da dachte ich, es reicht mir schon zu wissen, dass es unserem Baby gut geht. Dass sie zu einer so hübschen, klugen Frau herangewachsen ist. Ich dachte, dass es mir reichen würde, Jay. Aber es reicht mir nicht. Ich will mehr.«
»Sie hat wunderschöne Hände. Hast du gesehen? Sie sind ein bisschen zerschrammt von der Arbeit, aber sie hat schmale Hände mit langen Fingern. Als ich sie sah, ging mir durch den Kopf, ob sie wohl Klavier spielt. Mit solchen Händen muss man einfach Klavier spielen.«
Vorsichtig löste sie sich von ihm und umfasste sein Gesicht mit den Händen. Jay liefen die Tränen über beide Wangen. Suzanne erinnerte sich, dass er auch bei der Geburt der beiden
Kinder geweint hatte. Er hatte ihre kleinen Händchen umklammert, während ihm die Tränen übers Gesicht liefen, aber er hatte keinen Laut von sich gegeben.
»Oh, Jay«, seufzte sie und küsste ihn auf die nasse Wange. »Sie spielt Cello.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Ich habe das Cello in ihrem Motelzimmer stehen sehen. Außerdem habe ich im Internet eine Biografie gefunden. Darin steht, dass sie Cello spielt. Und dass sie in Carnegie Mellon ihr Examen gemacht hat, mit Auszeichnung.«
»Ehrlich?«, fragte Jay mit erstickter Stimme. »An dieser Uni stellen sie verdammt hohe Anforderungen.«
»Möchtest du die Biografie sehen? Ich habe sie ausgedruckt. Es ist auch ein Bild von ihr dabei. Sie sieht so ernst und intellektuell aus.«
»Ja, das würde ich gerne sehen.«
Suzanne nickte. »Jay, du hast Recht. Ich muss warten, bis sie freiwillig zu uns kommt. Aber es fällt mir so schwer, jetzt, wo sie in der Nähe ist.«
»Vielleicht fiele es dir nicht so schwer, wenn wir gemeinsam warten würden.«
Sie lächelte, so wie sie vor vielen Jahren gelächelt hatte, als sie sich zum ersten Mal geküsst hatten. »Stimmt, vielleicht fiele es mir dann nicht so schwer.«
Lana war es nicht nur gelungen, eine weitere Verabredung mit Doug zu vereinbaren, sondern sie hatte ihn sogar dazu überreden können, dass sie ihn in der Wohnung über dem Buchladen abholte. Sie wollte sehen, wo er wohnte, auch wenn es nur zeitweise war. Und sie wollte endlich Klarheit über ihre Beziehung haben.
Als sie an die Eingangstür klopfte, ertönte ein »Herein«. Kaum jemand schloss in Woodsboro seine Wohnungstür ab, eine Gewohnheit, die Lana allerdings auch nach zwei Jahren noch nicht übernommen hatte. Sie trat ein und stand in Dougs Wohnzimmer. Auf einem braun-orange gemusterten Teppich
standen ein Sofa mit einem marineblauen Überwurf und ein grüner Sessel mit zerschlissenen Armlehnen. Lana stellte fest, dass Doug offenbar nicht viel Wert auf passende Farben legte, und fragte sich, ob er womöglich farbenblind war. Ein hoher Tresen trennte den Wohnbereich von der Küche, die, wie Lana anerkennend feststellte, makellos
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