Die falsche Tochter - Roman
oben. Auf seiner rechten Handfläche lag eine Münze. Dann schüttelte er die Handgelenke erneut, und die Münze war wieder verschwunden.
»Du könntest ohne weiteres auf Kindergeburtstagen auftreten, um dir etwas dazuzuverdienen«, kommentierte sie.
»Diese Tricks funktionieren durch Ablenkung. Wenn du mit den Augen hierher schaust« – er hielt ihr seine rechte Hand vors Gesicht –, »merkst du nicht, was hier vor sich geht.« Er zupfte Callie mit der linken Hand am Ohrläppchen und vermittelte ihr die Illusion, als habe er die Münze hinter ihrem Ohr hervorgezogen.
»Du glaubst, jemand hat zwei Menschen umgebracht, um mich abzulenken?«
»Es hat doch funktioniert, oder? Du bist zumindest so abgelenkt, dass du nicht mehr daran denkst, was du vor zwei Stunden über Barbara Halloway herausgefunden hast. Jeder im Team mochte den Jungen. Selbst ich. Er hat mir sogar ein bisschen Leid getan, weil er so nach dir schmachtete. Er wurde nur umgebracht, weil er das beste Opfer bot, indem er sich weit genug von der Gruppe entfernt hatte.«
Sie schob einen von Diggers verschlissenen Vorhängen zurück und blickte aus dem schmierigen Fenster. »Und man
beobachtet uns. Genauso, wie man heute Abend das Haus beobachtet hat. Diese Leute sind eiskalt. Und wenn ich mich nicht ablenken lasse, wenn ich weiter nachforsche, muss dann womöglich noch jemand sterben?«
»Sich Vorwürfe zu machen ist nur eine andere Form von Ablenkung.«
»Ich habe Bill abblitzen lassen, Jake.« Callie zog den Vorhang mit einem heftigen Ruck wieder zu. »Als wir heute aufgeräumt haben, kam er vorbei und erzählte mir, dass ein paar Leute auf dem Gelände zelten wollten. Ich habe ihm nicht einmal richtig zugehört.«
Sie schüttelte den Kopf, bevor er etwas erwidern konnte. »Ich denke, dass du Recht haben könntest. Womöglich musste Bill sterben, weil mich jemand von meinen Nachforschungen ablenken will. Gott, Jake, Bill ist tot, und ich habe ihm heute nicht mal eine Minute lang zugehört.«
»Komm mal her.« Jake zog sie an sich, bis ihr Kopf in seinem Schoß lag. »Du solltest versuchen, ein bisschen zu schlafen.«
Einen Moment lang lag Callie mit geschlossenen Augen da und genoss das Gefühl, wie er ihr sanft über die Haare strich. Hatte er sie jemals zuvor so berührt? Hätte sie es überhaupt bemerkt?
»Jake?«
»Ja.«
»Ich hatte mir für heute Abend eigentlich etwas vorgenommen.«
»Ach ja?«
Sie öffnete die Augen und blickte zu ihm auf. Aus diesem Winkel konnte sie die Narbe an seinem Kinn sehen. Sie hob die Hand und fuhr zärtlich mit der Fingerspitze darüber.
»Ich wollte mich von dir verführen lassen. Oder dich verführen, je nachdem, was besser gepasst hätte.«
Seine Finger strichen sanft über ihre Wange. Warum hatte Callie nur früher nie auf diese kleinen Gesten geachtet? Warum hatte sie nie gemerkt, wie viel sie ihr bedeuteten? War sie
so sehr auf Worte angewiesen, dass sie die stummen Zeichen seiner Zuneigung einfach ignoriert hatte?
»Wie schade, dass es nicht geklappt hat«, antwortete er.
»Der Abend ist ja noch nicht vorbei.«
Seine Fingerspitzen zuckten, als hätten sie etwas Heißes berührt, und er zog seine Hand weg. »Ich halte das für keine gute Idee. Warum schläfst du nicht ein bisschen? Wir haben morgen einiges vor uns.«
»Ich will nicht an morgen denken. Ich will auch nicht an heute, an nächste Woche oder gestern denken. Ich will einfach nur dich. Jake, ich will nicht allein sein.« Als sie es aussprach, wurde ihr klar, dass sie damit nicht nur die bevorstehende Nacht meinte, sondern alle zukünftigen Nächte. »Ich habe geglaubt, es macht mir nichts aus, aber ich will nicht allein sein.«
»Du bist nicht allein.« Er ergriff ihre Hand und zog sie an seine Lippen. »Und jetzt mach die Augen zu.«
Callie richtete sich auf und schlang ihm die Arme um den Nacken. »Bleib bei mir«, flüsterte sie und küsste ihn. »Bitte, bleib bei mir.«
Erstaunt stellte er fest, dass sie zitterte. Er zog sie an sich, und sie vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge. »Sag mir, dass du mich brauchst, Callie. Nur ein einziges Mal.«
»Natürlich brauche ich dich. Bitte berühre mich. Du bist der Einzige, der das jemals konnte.«
»Ich wollte nicht, dass es so ist.« Seine Lippen glitten über ihr Kinn, während sie sich auf die schmale Sitzbank sinken ließen. »Für keinen von uns. Aber vielleicht soll es einfach so sein. Denk nicht nach.« Er küsste sie auf die Schläfen, auf die Wangen. »Spür es
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