Die falsche Tochter - Roman
Mitglieder des Teams näher zusammenrücken lassen. Das gemeinsame Vorbereiten und Verzehren von Nahrung stellte eine Zeremonie dar, die in vielen Kulturen aus gutem Grund in der Trauerzeit üblich war. Wie Sex war Essen ein natürlicher Teil des Lebens. Und genau wie der Kummer mussten auch das Schuldgefühl und die Erleichterung, selbst noch am Leben zu sein, während jemand anders seines verloren hatte, bewältigt werden.
Als Doug in die Küche trat, erblickte er Callies Ex-Mann, der mit der Hüfte am Herd lehnte und mit einem Gerät, das aussah wie eine Gartenharke, in einer Schüssel rührte. Dieser Anblick verstärkte den eigenartigen Eindruck, den Doug gewonnen hatte, als ihm ein Typ mit langen grauen Haaren in Unterhosen die Tür geöffnet hatte. Der Mann hatte wortlos in Richtung Küche gewiesen und war gleich darauf wieder auf
ein zerschlissenes Sofa gekrabbelt. Auf dem Weg zur Küche musste Doug über zwei Haufen auf dem Fußboden steigen, von denen er aufgrund der Schnarchlaute annahm, dass es sich um schlafende Menschen handelte. Wenn Callie gerne unter solchen Umständen lebte, dann würde es lange dauern, bis er sie verstand.
»Tut mir Leid, wenn ich störe«, sagte er jetzt zu Jake.
Jake rührte weiter in der Schüssel. »Wenn Sie Callie suchen, sie ist in der Dusche.«
»Oh. Ich hatte gedacht, dass Sie mittlerweile schon alle bei der Arbeit wären.«
»Heute fangen wir erst später an. Wollen Sie einen Kaffee? Er ist frisch gekocht.«
»Danke.« Auf dem Tresen standen diverse Becher und Tassen. Doug nahm einen Becher und griff nach der Kaffeekanne.
»Da ist auch frische Milch, falls Sie welche möchten. Ich habe sie heute Morgen auf dem Weg vom Antietam Creek hierher gekauft.«
»Haben Sie die Nacht durchgearbeitet?«
»Nein.« Jake stellte die Schüssel mit den Eiern beiseite und wendete den Bacon in der Pfanne. »Ich dachte, Sie wären vorbeigekommen, um zu sehen, wie es Callie geht. Aber offenbar haben Sie es noch gar nicht gehört.«
»Was meinen Sie damit – wie es ihr geht? Was ist denn passiert?«
»Ein Mitglied unseres Teams ist gestern Abend ertrunken. Im Simon’s Hole. Wir wissen noch nicht, wie es passiert ist. Die Polizei ermittelt noch. Können Sie bitte in den blauen Becher noch einmal Kaffee nachschenken?«
»Sie klingen ja schrecklich cool.«
Jake blickte von der Pfanne auf. »Hören Sie, wir müssen das Team zusammenhalten. Callie und ich sind für diese Menschen verantwortlich. Sie nimmt sich Bills Tod sehr zu Herzen, und es würde ihr gar nichts nützen, wenn ich das auch täte.«
Er blickte zur Decke, als im oberen Stockwerk die Bohlen
knarrten. Offenbar war Callie jetzt im Schlafzimmer, also würde es noch ein oder zwei Minuten dauern, bis sie herunterkäme. »Jemand hat den Jungen umgebracht«, sagte er leise.
»Sie haben doch gerade erklärt, er sei ertrunken.«
»Ich glaube, dass jemand nachgeholfen hat. Wir glauben, dass er, genau wie Dolan, sterben musste, weil Callie in ihrer Vergangenheit gräbt.«
Doug stellte sich neben Jake an den Herd und senkte ebenfalls seine Stimme. »Ron Dolan und dieser Junge sollen umgebracht worden sein, weil Callie 1974 aus ihrem Buggy entführt worden ist? Das scheint mir aber ziemlich weit hergeholt zu sein.«
»Nicht so weit, wie Sie annehmen. Callie muss jeden Moment hier sein, deswegen sollten wir jetzt lieber das Gesprächsthema wechseln. Ich möchte, dass sie keine Minute allein ist, und wenn ich nicht bei ihr sein kann, sollten Sie auf sie aufpassen.«
»Glauben Sie, dass jemand hinter ihr her ist?«
»Je mehr sie herausfindet, desto gezielter wird man versuchen, sie aufzuhalten. Ich werde nicht zulassen, dass ihr jemand etwas antut, und Sie auch nicht, denn Sie sind in einer Kultur aufgewachsen, in der ein Bruder – vor allem ein älterer Bruder – lernt, dass er auf seine Schwester aufpassen muss. Und da Sie als kleiner Junge dieser Aufgabe beraubt wurden, sind Sie jetzt als Erwachsener umso entschlossener, diese Rolle zu übernehmen.«
»Also werde ich Ihnen dabei helfen, auf sie aufzupassen, weil es in meinem Kulturkreis so üblich ist?«
»Genau. Und außerdem spüren Sie bereits die Blutsbande, die Sie mit Callie verbinden.« Jake hatte den Eindruck, als habe er Doug mit seiner letzten Bemerkung verwirrt. Außerdem schien es ihm ein wenig peinlich zu sein. »Sie ist eine Frau, und Sie haben gelernt, Frauen zu beschützen«, fuhr Jake fort. »Und außerdem mögen Sie sie.«
»Und warum wollen Sie auf
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