Die falsche Tochter - Roman
mein Vater getan oder nicht getan hat – er ist tot. Er kann ihre Fragen nicht mehr beantworten. Ich werde nicht zulassen, dass meine Familie für seine Fehler bestraft wird. Lassen Sie also bitte die Toten ruhen.«
22
Jake hörte den tiefen, klagenden Klang des Cellos. Da er die Klassiker noch nie hatte auseinander halten können, hätte er nicht sagen können, um welches Stück oder welchen Komponisten es sich handelte. Doch an der Stimmung des Stückes konnte er erkennen, dass Callie keine besonders gute Laune hatte. Er konnte es ihr nicht verübeln. Seiner Meinung nach war in diesem Sommer bereits genug vorgefallen. Am liebsten hätte Jake einfach die Zelte abgebrochen, um mit Callie irgendwohin zu fahren. Darin waren sie schon immer gut gewesen. Vielleicht ein wenig zu gut, dachte er. Während ihrer Ehe hatten sie sich niemals irgendwo dauerhaft niedergelassen. Jake zumindest hielt das auch nicht für wichtig. Damals zählte für sie beide immer nur der Augenblick. Sie sprachen selten von der Vergangenheit, und an die Zukunft verschwendeten sie nie einen Gedanken. Doch im vergangenen Jahr hatte Jake viel Zeit zum Nachdenken gehabt, und er war zu der Erkenntnis gekommen, dass er sich eine Zukunft mit Callie wünschte.
Er ging in die Küche, wo Dory am Tisch saß und arbeitete. »Wir haben heute etwas Tolles gefunden. Matt hat eine Handaxt ausgegraben«, erklärte sie ihm.
»Das ist wirklich interessant.« Jake öffnete den Kühlschrank, griff nach einer Dose Bier und entschied sich dann doch für Wein.
»Ich … ich trage gerade Bills Notizen zusammen. Ich dachte mir, irgendeiner muss es ja tun.«
»Das brauchst du nicht, Dory. Ich kümmere mich schon darum.«
»Nein, ich … ich möchte es gerne tun, wenn es okay ist. Ich war nicht sehr nett zu Bill. Ich habe manchmal … nein, eigentlich ständig an ihm herumgemeckert, weil er dauernd Callie hinterhergelaufen ist. Ich komme mir so schäbig vor.«
»Du hast es doch nicht böse gemeint«, erwiderte Jake.
»Meistens meint man es nicht böse, wenn man jemanden aufzieht, bis es dann auf einmal zu spät ist. Ich habe mich offen über ihn lustig gemacht, Jake!«
»Glaubst du, es ginge dir besser, wenn du hinter seinem Rücken über ihn geredet hättest?« Er entkorkte die Weinflasche und schenkte Dory ein Glas ein. »Ich habe Bill im Übrigen auch ein paar Probleme bereitet.«
»Ich weiß. Danke.« Sie ergriff das Weinglas, trank jedoch nicht. »Du brauchst dir keinen Vorwurf zu machen, schließlich wart ihr beide hinter Callie her.« Sie blickte zur Decke. Die leisen Töne des Cellos drangen durch die nächtliche Stille. »Das ist hübsch, aber so verdammt traurig.«
»Ich finde, Cellomusik klingt nie besonders fröhlich.«
»Vermutlich nicht. Callie ist wirklich begabt. Aber es ist schon ein bisschen seltsam, dass sie ihr Instrument überallhin mitschleppt, damit sie Beethoven spielen kann.«
»Tja, sie spielt nun einmal nicht Mundharmonika. Arbeite nicht mehr zu lange, Dory.«
Jake ging mit der Weinflasche und zwei Gläsern nach oben. Er wusste, was es bedeutete, wenn Callies Tür geschlossen war, doch er ignorierte das Signal und trat ohne anzuklopfen ein. Sie saß auf dem einzigen Stuhl am Fenster und zog den Bogen über die Saiten. Die Haare hatte sie zurückgebunden. Jake fiel auf, wie zart und weiblich ihre Hände wirkten, wenn sie spielte. Es hatte ihm wirklich gefehlt, sie spielen zu hören. Er trat zum Schreibtisch und schenkte den Wein in die Gläser ein.
»Geh weg«, sagte sie, ohne ihn anzublicken. »Das ist kein öffentliches Konzert.«
»Mach mal eine Pause.« Er hielt ihr ein Weinglas hin. »Beethoven kann warten.«
»Woher weißt du, dass es Beethoven ist?«
»Du bist hier nicht die Einzige, die etwas von Musik versteht.«
»Da Willie Nelson in deiner Welt der größte Künstler ist …«
»Pass auf, was du sagst, Babe. Keine Beleidigungen, sonst teile ich den Wein nicht mit dir.«
»Warum hast du die Flasche mitgebracht?«
»Weil ich ein selbstloser, umsichtiger Mann bin.«
»Der mich betrunken machen möchte, damit er seinen Vorteil daraus ziehen kann.«
»Natürlich, aber deswegen bin ich trotzdem umsichtig.«
Sie ergriff das Glas und trank einen Schluck. »Mmh, der ist hervorragend.« Sie stellte das Glas auf dem Boden ab und spielte die ersten Töne von Turkey in the Straw . »Das ist schon eher dein Tempo, was?«
»Möchtest du mit mir über die Bedeutung der Musik für die Kulturen und ihre Auswirkung auf
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