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Die falsche Tochter - Roman

Die falsche Tochter - Roman

Titel: Die falsche Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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sie in Maine waren, die Alarmanlage und die Zeitschaltuhr für die Lampen eingeschaltet. Außerdem hatten sie vermutlich wie immer die Zeitungen abbestellt, ließen die Post zurücklegen und hatten die Nachbarn über ihre Abwesenheit informiert. Als sie über den gepflasterten Weg zum Hauseingang ging, dachte Callie darüber nach, dass ihre Eltern äußerst vernünftige, verantwortungsbewusste Menschen waren. Vivian und Elliot Dunbrook waren recht gesellig, spielten Golf und gaben gern elegante Dinnerpartys. Sie verstanden sich gut und lachten über dieselben Witze.
    Ihr Vater liebte seinen Garten und pflegte mit Hingabe seine Rosen und Tomaten. Vier Tage im Monat arbeitete er in einer privaten Klinik. Ihre Mutter spielte Geige und sammelte alte Uhren, und nebenbei gab sie Kindern aus armen Verhältnissen kostenlosen Musikunterricht. Die beiden waren seit achtunddreißig Jahren verheiratet, und obwohl sie sich gelegentlich stritten, hielten sie immer noch Händchen, wenn sie zusammen spazieren gingen.
    Vivian überließ Elliot bei allen wichtigen Fragen und auch bei den meisten unwichtigeren die Entscheidung. Dieses Verhalten ihrer Mutter empfand Callie als eine Art Unterwürfigkeit, die sie nur schlecht ertragen konnte. Manchmal schämte sie sich regelrecht dafür, dass ihre Mutter so schwach war und ihr Vater es darauf anzulegen schien, sie abhängig zu halten. Er gab ihr sogar Taschengeld. Natürlich nannten sie es nicht so, sondern bezeichneten es als Haushaltsgeld. Für Callie lief es jedoch auf das Gleiche hinaus. Doch auch wenn ihre Eltern
– wie alle Menschen – ihre Fehler hatten, so machte sie das noch lange nicht zu Monstern, die fremde Babys stahlen.
    Schuldgefühle und Nervosität stiegen in Callie auf, als sie die Haustür aufschloss. Sie schaltete das Licht in der Diele ein und gab den Code zum Ausschalten der Alarmanlage ein. Einen Moment lang blieb sie im Flur stehen. Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie das letzte Mal allein in ihrem Elternhaus gewesen war. Wahrscheinlich lange bevor sie ausgezogen war und sich eine eigene Wohnung genommen hatte. Es roch schwach nach Murphy Oil Soap. Offensichtlich war Sarah, die langjährige Putzfrau ihrer Mutter, vor kurzem da gewesen. Und es duftete süß nach Rosen, Vivians Lieblingsduft. Auf dem Refektoriumstisch unter der Treppe stand ein eleganter Sommerstrauß. Bestimmt hatte sie Sarah gebeten, sich darum zu kümmern. Und wahrscheinlich hatte sie hinzugefügt, dass Blumen im Haus sein mussten, ob nun jemand zu Hause war oder nicht.
    Callie durchquerte den Flur mit seinen im Schachbrettmuster verlegten Fliesen und ging die Treppe hinauf. Im ersten Stock angekommen, blieb sie zunächst an der Tür zu ihrem früheren Zimmer stehen. Es hatte seit ihrer Kindheit zahlreiche Veränderungen durchgemacht und wurde jetzt als elegantes Gästezimmer genutzt. Die Wände waren blassgrün gestrichen, an den Fenstern hingen strahlend weiße Vorhänge, und auf dem Bett lag ein antiker Quilt. Überall standen jene hübschen kleinen Nippesfiguren herum, die ihre Mutter von den Einkaufsbummeln mit ihren Freundinnen mitbrachte. Callie hatte in diesem Zimmer gewohnt, bis sie aufs College gegangen war, und in gewisser Weise war es dadurch zu einem Teil von ihr geworden.
    Sie ging den breiten Flur entlang zum Arbeitszimmer ihres Vaters. Auf der Schwelle blieb sie zögernd stehen und erschauerte leicht, als sie auf seinen schönen alten Mahagonischreibtisch mit der makellos aufgeräumten Platte blickte. Der Schreibtischstuhl war mit burgunderfarbenem Leder bezogen. Callie sah ihren Vater förmlich vor sich, wie er dort saß und einen Gartenkatalog oder eine medizinische Zeitschrift studierte.
Seine Brille rutschte ihm beinahe von der Nase, und seine blonden, von silbernen Fäden durchzogenen Haare fielen ihm in die Stirn. Um diese Jahreszeit würde er bestimmt ein Golfhemd und Chinos tragen, und wahrscheinlich würde er klassische Musik hören.
    Callie hatte ihren Vater oft in seinem Arbeitszimmer besucht, hatte sich in einen der Ledersessel geworfen und ihn mit Neuigkeiten, Klagen und Fragen von der Arbeit abgehalten. Wenn er wirklich zu viel zu tun hatte, um auf sie einzugehen, hatte er ihr einen langen Blick über den Rand seiner Brille zugeworfen, was stets genügte, um sie zum Schweigen zu bringen. Doch meistens war sie ihm willkommen gewesen. Und jetzt kam sie sich vor wie ein Eindringling.
    Callie zwang sich, nicht darüber nachzudenken. Sie würde einfach das

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