Die falsche Tochter - Roman
Flaschen, die er in der Hand hielt. »Waffenstillstand?«
»Ich will kein Bier, und wir brauchen keinen Waffenstillstand zu schließen. Ich bin nicht mehr daran interessiert, mit dir zu streiten.«
»Es sieht dir gar nicht ähnlich, ein kostenloses Bier nach der Arbeit abzulehnen.«
»Da hast du Recht.« Sie nahm ihm eine Flasche aus der Hand und wollte ihm die Tür vor der Nase zuknallen, aber er war schneller. Er hatte schon immer eine schnelle Reaktion gehabt.
»Hey, ich versuche doch nur, freundlich zu sein.«
»Sei doch zu jemand anders freundlich. Das kannst du doch gut.«
»Ah, das klingt ja, als hättest du doch noch Interesse an einem Streit.«
»Hau ab, Graystone! Ich bin nicht in der Stimmung, mit dir zu streiten.« Sie drehte ihm den Rücken zu und sah ihren Ehering auf der Kommode liegen. Na, das war ja großartig! Rasch trat sie vor das Schränkchen und ergriff die Kette mit dem Ring.
»Die Callie Dunbrook, die wir alle kennen und lieben, ist immer in der Stimmung zu streiten.« Jake schlenderte zum Bett, während sie die Kette in der Hosentasche verschwinden ließ. »Was ist das denn? Schaust du dir Familienfotos an?«
Callie wurde leichenblass. »Warum sagst du das?«
»Na, wegen der Fotos da. Wer ist das? Deine Großmutter? Ich habe sie nie kennen gelernt, oder? Aber wir haben ja auch nie besonders viel Zeit mit unseren Familien verbracht.«
»Das ist nicht meine Großmutter.« Sie riss ihm das Foto aus der Hand. »Und jetzt verschwinde!«
»Hey, hey!« Er strich ihr mit den Fingerknöcheln über die Wange, eine vertraute Geste, die ihr unwillkürlich die Tränen in die Augen trieb. »Was ist los?«
»Los ist, dass ich verdammt noch mal gerne allein wäre.«
»Babe, ich kenne das Gesicht doch. Du bist nicht sauer auf mich, sondern du hast dich aufgeregt. Sag mir, was los ist.«
Einen Moment lang spielte Callie mit dem Gedanken, ihm alles zu erzählen. »Es geht dich nichts an. Ich brauche dich nicht«, sagte sie dann.
Seine Augen wurden kalt und hart. »Du hast mich noch nie gebraucht. Okay, ich werde dir also aus dem Weg gehen. Das habe ich ja lange genug geübt.«
Er trat zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und blickte auf den Cellokasten in der Ecke, die Sandelholzkerze, die auf der Kommode brannte, den Laptop auf dem Bett und die Tüte mit Oreos-Keksen neben dem Telefon.
»Immer noch die gleiche alte Callie«, murmelte er.
»Jake?« Sie trat so dicht vor ihn, dass sie ihn fast berührte. Und um ein Haar hätte sie dem Drang nachgegeben, ihn am Arm zu fassen, um ihn am Gehen zu hindern. »Danke für das Bier«, sagte sie. Dann schloss sie leise die Tür hinter ihm.
4
Sie kam sich vor wie ein Einbrecher. Dabei spielte es kaum eine Rolle, dass sie einen Haustürschlüssel hatte, dass sie jedes Geräusch und jeden Geruch in der Nachbarschaft kannte, jede Ecke und jeden Winkel in dem hübschen Ziegelhaus in Mount Holly. Dies alles änderte nichts an der Tatsache, dass sich Callie um zwei Uhr morgens heimlich ins Haus schleichen wollte.
Nach Suzanne Cullens Besuch hatte Callie keine Ruhe mehr gefunden. Sie konnte weder essen noch schlafen oder arbeiten. Und ihr war klar geworden, dass sie durchdrehen würde, wenn sie in dem stickigen Motelzimmer bliebe und über das vermisste Baby einer Fremden nachdenken würde. Natürlich glaubte Callie nicht eine Minute lang daran, dass sie dieses Baby war. Aber sie war nun einmal eine Wissenschaftlerin, deren Beruf es war, die Vergangenheit zu erforschen, und sie würde nicht eher ruhen, bis sie diese Angelegenheit geklärt hatte.
Als sie in die Einfahrt zum Haus ihrer Eltern einbog, dachte sie an Leo, der ärgerlich geworden war, als sie ihm am Telefon gesagt hatte, dass sie sich einen Tag frei nehmen würde und ihm den Grund nicht nennen wollte. Auf der Fahrt von Maryland nach Philadelphia hatte sie sich eingeredet, dass sie das einzig Logische tat, auch wenn sie das Haus ihrer Eltern betrat, während diese nicht zu Hause waren, auch wenn sie ihre
Unterlagen durchsuchte, um einen Beweis für das zu finden, was sie doch bereits wusste.
Sie war Callie Ann Dunbrook.
In dem eleganten Wohnviertel war es still wie in einer Kirche. Obwohl Callie die Autotür so leise wie möglich schloss, knallte das Geräusch wie ein Schuss durch die Stille, und in der Nähe begann prompt ein Hund zu bellen. Das Haus war dunkel, bis auf einen schwachen Lichtschein, der aus dem Zimmer ihrer Mutter drang. Bestimmt hatten ihre Eltern für die Zeit, die
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