Die falsche Tochter - Roman
Sie beide mich im Visier?«, fragte er dann unvermittelt.
»Roger deshalb, weil er Sie liebt. Er ist stolz auf Sie und macht sich Sorgen um Sie. Er war mit Ihrer Großmutter sehr glücklich und kann sich nicht vorstellen, wie Sie ohne eine Frau, mit der Sie Ihr Leben teilen, jemals glücklich werden sollen.«
»Und er denkt, dass Sie diese Frau sind?«
»Ja, ich glaube schon. Mich liebt Ihr Großvater nämlich auch. Und er macht sich Sorgen um mich, weil ich allein bin und mein Kind ohne Vater großziehe. Er ist altmodisch, im besten Sinne des Wortes.«
»Das erklärt sein Verhalten. Und was ist mit Ihnen?« Lana nahm sich Zeit. Sie beherrschte die Kunst des Flirtens und musterte Doug zunächst einmal ungeniert. »Ich dachte, ich könnte ruhig einmal mit einem attraktiven Mann ausgehen. Und Sie sind der Erwählte.«
»Wie bin ich in die engere Wahl gekommen?«, fragte er.
Sie lachte. »Ich will aufrichtig mit Ihnen sein, Doug. Ich hatte nicht viele Verabredungen, seit mein Mann tot ist. Aber ich bin gerne mit Menschen zusammen, genieße die Gespräche, die Gesellschaft. Ich bezweifle ernsthaft, dass Roger sich um einen von uns beiden Sorgen machen muss, aber das bedeutet noch lange nicht, dass wir ihn nicht glücklich machen
können, indem wir miteinander essen gehen und uns angeregt unterhalten.«
Sie schlug die Speisekarte auf. »Und das Essen ist hier wirklich sehr gut.«
In diesem Moment brachte der Kellner Dougs Wein und trug ihnen mit großer Geste die speziellen Gerichte des Tages vor, bevor er sich wieder zurückzog, um sie in Ruhe wählen zu lassen.
»Woran ist Ihr Mann gestorben?«, fragte Doug.
Lana schwieg einen Moment lang, und Doug sah die Trauer in ihren Augen.
»Er ist bei einem Überfall auf einen Lebensmittelladen erschossen worden. Er war noch spätabends zum Einkaufen gegangen, weil Ty so unruhig war und wir beide nicht schlafen konnten.«
Die Erinnerung an jenen Abend schmerzte noch immer, und Lana wusste, dass es nie anders sein würde. Aber sie hatte zumindest keine Angst mehr, daran zu zerbrechen. »Ich wollte Eiscreme haben, und Steve ist rasch zum 7-Eleven gelaufen, um mir welche zu holen. Er wollte gerade bezahlen, als diese Typen hereinkamen.«
»Es tut mir Leid.«
»Es war so sinnlos. Es war nicht besonders viel Geld in der Kasse, und weder Steve noch der Angestellte wehrten sich. Es war schrecklich – von einer Minute zur anderen hat sich mein Leben völlig verändert.«
»Ja, ich weiß, wie das ist.«
»Tatsächlich?« Noch bevor Doug antworten konnte, legte Lana ihre Hand auf seine. »Es tut mir Leid – ich hatte Ihre Schwester vergessen. Vermutlich haben wir damit ein traumatisches Erlebnis gemeinsam. Hoffentlich stellen wir auch fröhlichere Gemeinsamkeiten fest. Ich mag zum Beispiel Bücher. Leider behandle ich sie ziemlich sorglos und würde damit Bibliophile wie Roger und Sie bestimmt auf die Palme bringen.«
Sie ist offenbar zäher, als sie auf den ersten Blick wirkt, dachte Doug. Auf jeden Fall zäh genug, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, nachdem es in tausend Stücke zersprungen
war. Davor hatte er Respekt, und so beschloss er, sein Bestes zu tun, damit es ein netter Abend wurde.
»Knicken Sie etwa die Seiten um?«
»Bitte, so weit würde selbst ich nicht gehen! Aber ich zerkratze Einbände und schütte versehentlich Kaffee über die Seiten. Und einmal habe ich einen Roman von Elisabeth Berg in der Badewanne versenkt. Ich glaube, es war sogar eine Erstausgabe.«
»Offensichtlich ist Ihre Beziehung zu Büchern schwer gestört. Wollen wir nicht bestellen?«
Nachdem sie ihr Essen bestellt hatten, fuhr Lana fort: »Und Sie, lesen Sie eigentlich selbst, oder handeln Sie nur mit Büchern?«
»Wenn man Bücher nicht schätzt, kann man es in dieser Branche niemals zu etwas bringen.«
»Ich war einmal zufällig in Rogers Laden, als er eine Lieferung von Ihnen bekam, in der die Erstausgabe von Moby Dick war. Ihr Großvater hat das Buch zärtlich gestreichelt – aber er hätte sich nie im Leben in seinem Lieblingssessel niedergelassen, um es zu lesen.«
»Dafür gibt es ja auch Taschenbücher.«
Lana legte den Kopf schräg, und die kleinen, bunten Steine an ihren Ohrläppchen glitzerten. »Ist es die Entdeckung, die den Reiz ausmacht? Die Schatzsuche?«
»Zum Teil.«
»Na, allzu gesprächig sind Sie nicht gerade, aber das reicht jetzt auch für Sie«, sagte Lana nach einer Weile. »Wollen Sie mich nicht fragen, warum ich Anwältin geworden
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