Die falsche Tochter - Roman
dich im Moment mitten ins Herz.«
»Darum geht es nicht.« Entschlossen griff sie nach ihrer Kamera und begann, die Fundstelle von allen Seiten zu fotografieren.
»Ich gehe jetzt telefonieren«, sagte Jake.
»Ich werde sie und ihr Kind nicht zerfallen lassen, während du dich berätst. Also beeil dich, Graystone«, erwiderte Callie und machte sich auf die Suche nach Leo.
Diggers Fundstücke, ein Hirschhorn und ein hohler Knochen, der vielleicht als eine Art Pfeife benutzt worden war, waren bei weitem nicht so spektakulär wie die beiden Skelette, aber zusammen mit den Steinsplittern und den zerbrochenen Speerspitzen, die Rosie ausgegraben hatte, ergaben sie für Callie ein klares Bild der Siedlung, die sich hier befunden hatte.
Wie Jake es vorhergesagt hatte, brach ein Gewitter los. So hatte sie Gelegenheit, sich in ihr Motelzimmer zurückzuziehen und die Siedlung, die sie vor Augen hatte, aufzuzeichnen. Die Anlage, die Hütten, den Friedhof. Wenn sie Recht hatte, würden sie die Feuerstelle irgendwo zwischen D-25 und E-12 finden. Sie brauchten dringend mehr Hilfskräfte, und Callie hoffte, dass der Fund dieses Tages dazu beitrug, dass sie zügig genehmigt wurden.
Als das Telefon klingelte, nahm Callie geistesabwesend ab und wurde schlagartig aus ihren Gedanken gerissen, als die Stimme ihres Vaters an ihr Ohr drang.
»Ich war mir nicht sicher, ob ich dich um diese Tageszeit erwische, aber ich wollte es zuerst auf dem Festnetz probieren, bevor ich dich auf dem Handy anrufe.«
»Hier geht gerade ein Unwetter nieder«, erwiderte sie. »Ich sitze im Motel und erledige Papierkram.«
»Ich wollte dir nur sagen, dass ich Henry Simpson aufgespürt habe. Er ist mittlerweile pensioniert und wieder nach Virginia gezogen. Ich … ich habe nur kurz mit ihm gesprochen. Liebes, ich wusste nicht genau, wie viel ich ihm sagen durfte, also habe ich ihm erklärt, du wolltest mehr über deine leiblichen Eltern erfahren. Ich hoffe, das war in Ordnung so.«
»Es war sicher am einfachsten so.«
»Er konnte mir nicht viel erzählen. Er glaubt, dass Marcus Carlyle weggezogen ist, wusste aber auch nicht, wohin oder
wann. Aber er sagte, er wolle versuchen, es herauszufinden.«
»Danke. Das alles ist bestimmt nicht leicht für dich und Mom. Wenn ich mich dazu entschließe, selbst mit Dr. Simpson zu reden, werde ich dich wahrscheinlich bitten, ihn vorher etwas genauer zu informieren.«
»Ganz wie du willst. Callie, diese Frau, Suzanne Cullen … was willst du ihr eigentlich sagen?«
»Ich weiß es noch nicht, aber ich kann die Angelegenheit auf keinen Fall auf sich beruhen lassen, Dad.« Callie dachte an die Skelette, die sie gefunden hatte, Mutter und Kind. »Damit könnte ich nicht leben.«
Ihr Vater schwieg, dann stieß er einen kurzen Seufzer aus. »Nein, vermutlich nicht. Wir sind hier, wenn du etwas brauchst.«
»Ihr wart immer für mich da.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, fühlte sie sich nicht mehr in der Lage, weiterzuarbeiten. Doch sie wollte auch nicht in diesem winzigen Zimmer auf und ab laufen. Sie warf einen Blick auf ihr Cello, aber ihr war klar, dass es Situationen gab, in denen sie auch die Musik nicht trösten würde.
Sie musste jetzt den nächsten Schritt tun. Also griff sie zum Telefon und rief Suzanne an.
Die Wegbeschreibung war detailliert und exakt. Während Callie die lange, geschwungene Kieseinfahrt zu Suzannes Haus hinauffuhr, dachte sie, dass Suzanne, wenn es nötig war, offenbar klar strukturiert denken konnte. Aber man konnte schließlich ein großes Unternehmen wie Suzanne’s Kitchen auch nicht aufbauen, wenn man so hysterisch und überdreht war, wie Suzanne bei ihrem Besuch in Callies Motelzimmer gewirkt hatte.
Das Haus lag recht abgeschieden und zeugte von Suzannes gutem Geschmack, von finanzieller Sicherheit und dem Bedürfnis nach Weitläufigkeit. Es war ein moderner Bau aus honigfarbenem Holz, mit zwei lang gestreckten Terrassen und
viel Glas. Während sie den üppig wuchernden Garten betrachtete, stellte Callie fest, dass Suzanne Blumen offenbar über alles liebte.
Callie war es gewohnt, eine Person nach ihrem Lebensumfeld zu analysieren. Jake würde ihr sicher zustimmen. Wie und wo ein Mensch leben wollte, war Ausdruck seiner Persönlichkeit, seines Hintergrunds und der Kultur, in der er aufgewachsen war.
Während sie hinter einem brandneuen Mercedes parkte, versuchte sie sich zu erinnern, welche Kleidung Suzanne getragen hatte, als sie ins Motel gekommen war. Aber Callie
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