Die falsche Tochter - Roman
bin es verdammt Leid, dass irgendwelche Flachländer hier herumlaufen und mir vorschreiben wollen, was ich tun soll. Ich lebe schon mein ganzes Leben lang in dieser Gegend. Mein Vater hat das Bauunternehmen vor fünfzig Jahren gegründet, und wir haben uns immer darum gekümmert, dass die Leute anständige Häuser haben. Und plötzlich kommen irgendwelche Umweltschützer und Ökos daher und machen uns das Leben zur Hölle, nur weil wir auf Ackerland bauen. Sie fragen die Bauern nicht, warum sie das Land verkaufen, warum sie die Nase voll davon haben, sich Jahr für Jahr den Arsch aufzureißen, nur um sich anhören zu müssen, dass die Milch zu teuer ist. Sie haben doch überhaupt keine Ahnung von dem Leben hier, und deshalb haben Sie nicht das Recht, in mein Büro zu kommen und mir zu erklären, dass ich nur an meinen Profit dächte.«
»Nun, ich kann Ihre Gedanken tatsächlich nicht lesen, Mr Dolan, aber ich weiß, dass wir jetzt nicht mehr nur über Ackerland und den Verlust freier Flächen reden. Es geht hier um einen Fund von enormer wissenschaftlicher und historischer Tragweite, und um ihn zu schützen, werden wir Sie an weiteren Schritten hindern.«
»Ihr Pack sollt von meinem Land verschwinden!«
»Reden Sie mit dem Staat Maryland, mit Ihrer Bezirksplanungskommission oder dem Gericht.« Jake blickte den Bauunternehmer mit seinen grünen Augen kühl an. Als er fortfuhr, klang sein Tonfall nicht im Entferntesten mehr verbindlich. »Wenn Sie uns Steine in den Weg legen, Dolan, dann wird die Presse Sie in der Luft zerreißen, lange bevor das Gericht entscheidet, wer in dieser Sache im Recht ist. Und das wäre das Ende von Dolan und Söhne .«
Jake verließ das Büro. Die Sekretärin starrte ihn mit offenem Mund an und beugte sich rasch über ihre Tastatur, als er an ihr vorüberging.
Der Zwischenfall wird sich wie ein Lauffeuer im Ort verbreiten, dachte Jake. In den nächsten Tagen würden sie bestimmt viele Besucher auf dem Gelände haben. Als er im Auto saß, zog er sein Handy aus der Tasche.
»Wir müssen den Rechtsweg beschreiten, Leo. Ich habe nichts erreicht, Dolan weicht keinen Millimeter von seiner Meinung ab. Ich fahre rasch bei Lana Campbell vorbei und erstatte ihr Bericht.«
»Sie ist immer noch hier draußen.«
»Dann bin ich gleich da.«
Anderthalb Meilen außerhalb der Stadt saß Jay Cullen neben seiner Ex-Frau und betrachtete das Video mit dem Interview mit Callie Dunbrook. Wie immer in solchen Situationen hatte er einen Kloß im Hals, und sein Magen krampfte sich zusammen.
Jay war immer schon ein ruhiger Mann gewesen. Als Junge hatte er die örtliche Highschool besucht, dann hatte er Suzanne Grogan geheiratet – das Mädchen, in das er sich schon mit sechs Jahren auf den ersten Blick verliebt hatte – und schließlich sein Lehrerexamen gemacht. Zwölf Jahre lang unterrichtete er Mathematik. Als er Suzannes besessene Suche nach ihrer vermissten Tochter nicht mehr aushielt, reichte er die Scheidung ein, und zog in den benachbarten Bezirk, wo er sich
an eine andere Schule versetzen ließ. Doch Frieden hatte er auch danach nur bedingt gefunden. Zwar vergingen manchmal Wochen, ohne dass er an seine Tochter dachte, aber an Suzanne dachte er jeden Tag.
Jetzt saß er neben ihr in jenem Haus, in dem sie nie zusammen gewohnt hatten. Er fühlte sich nicht wohl darin, es war zu groß, zu offen, zu elegant.
»Suzanne …«, setzte Jay an.
»Bevor du mir jetzt wieder sämtliche Gründe aufzählst, warum das nicht Jessica sein kann, hör dir an, was ich herausgefunden habe. Callie ist, vier Tage nachdem Jessica verschwand, adoptiert worden. Es war eine private Adoption. Sie hat dort gesessen, wo du jetzt sitzt, und mir erklärt, dass sie es nach ihren Nachforschungen für notwendig hält, Tests durchführen zu lassen. Du brauchst nicht einer Meinung mit mir zu sein, Jay, ich bitte dich nur, den Tests zuzustimmen.«
»Was soll das denn? Du bist ja bereits davon überzeugt, dass diese Frau Jessica ist, das sehe ich dir doch an.«
»Sie muss davon überzeugt werden. Und du, und Doug …«
»Um Himmels willen, Suzanne, zieh doch nicht schon wieder Doug da hinein!«
»Sie ist seine Schwester.«
»Sie ist eine Fremde.« Geistesabwesend legte Jay seine Hand auf Sadies Kopf. »Ganz gleich, was bei der Blutuntersuchung herauskommt – sie ist und bleibt eine Fremde.«
Er wandte den Blick vom Fernsehschirm ab. »Wir bekommen Jessica nicht mehr zurück, Suzanne. Du kannst die Uhr nicht
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