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Die falsche Tochter - Roman

Die falsche Tochter - Roman

Titel: Die falsche Tochter - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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zurückdrehen.«
    »Du würdest am liebsten nichts davon wissen, nicht wahr?« Die Bitterkeit schnürte ihr die Kehle zu. »Du würdest es lieber abschließen, alles vergessen, damit du in Ruhe und Frieden leben kannst.«
    »Das stimmt. Ich wünschte bei Gott, ich könnte es vergessen. Aber ich kann es nicht. Ich kann nur versuchen, mein Leben nicht zu sehr davon beeinflussen zu lassen. Suzanne, ich will mich nicht dauernd so herunterziehen lassen.«

    Er kraulte Sadie hinter den Ohren und wünschte, es wäre genauso leicht, Suzanne zu trösten. Und auch sich selbst. »An jenem verdammten zwölften Dezember habe ich nicht nur ein Kind verloren, sondern auch meine Frau – und mit ihr meine beste Freundin. Ich habe alles verloren, was mein Leben ausmachte, weil du aufgehört hast, mich wahrzunehmen. Du hast nur noch Jessie gesehen.«
    Susanne kannte diese Worte, und sie kannte auch die Trauer auf Jays Gesicht.
    »Du hast sie aufgegeben«, sagte sie mit Tränen in den Augen. »Du hast sie einfach irgendwann aufgegeben, so, als ob uns ein kleiner Hund weggelaufen wäre.«
    »Das stimmt nicht.« Er war zu erschöpft, um wütend zu sein. »Ich habe nicht aufgegeben. Ich habe es lediglich akzeptiert. Du hast doch gar nicht mitbekommen, was ich getan und empfunden habe. Das konntest du gar nicht, weil du mich nicht mehr angeschaut hast. Und dann war eines Tages einfach nichts mehr übrig von uns.«
    »Du hast mir die Schuld gegeben.«
    »Oh nein, Liebling, das habe ich nie getan.« Er konnte es nicht ertragen, dass Suzanne sich wieder einmal in ihre Verzweiflung, ihr Schuldgefühl und ihre Trauer hineinsteigerte. »Nicht ein einziges Mal.«
    Er stand auf und nahm sie in die Arme. Eng umschlungen standen sie da, und als er an ihrem Zittern spürte, dass sie weinte, fühlte er sich genauso hilflos und nutzlos wie damals, als sie angerufen und ihm gesagt hatte, dass Jessica verschwunden war.
    »Ich werde mich den Tests unterziehen. Sag mir, was ich tun soll«, flüsterte er.
     
    Bevor er Suzanne verließ, telefonierte er mit dem Arzt und verabredete einen Termin für den Bluttest. Es schien sie zu beruhigen, aber Jay war so aufgewühlt, dass er den Druck in seiner Brust kaum ertragen konnte. Obwohl Suzanne ihn angefleht hatte, zu der Ausgrabungsstätte zu fahren und mit Callie Dunbrook
zu sprechen, beschloss er, es nicht zu tun. Er war einfach noch nicht so weit. Was hätten sie sich außerdem auch schon sagen können?
    An Jessicas einundzwanzigstem Geburtstag war Jay klar geworden, dass seine Tochter, wenn sie noch lebte, nun eine erwachsene Frau war und ihm nie, nie mehr im Leben, gehören konnte.
    Jetzt konnte er den Gedanken an den einsamen Abend, der vor ihm lag, kaum ertragen, obwohl er normalerweise gern allein war. Er redete sich stets ein, dass sein Bedürfnis nach Einsamkeit auch der Grund dafür war, dass er nie wieder geheiratet hatte. Dabei war Jay Cullen in Wahrheit tief in seinem Herzen immer noch mit Suzanne verheiratet. Jessica mochte das lebende Gespenst in Suzannes Leben sein; Jays Gespenst jedoch war seine Ehe.
    Wenn er gelegentlich dem Drängen seiner Freunde oder seinen eigenen Bedürfnissen nachgab und mit einer Frau ins Bett ging, kam es ihm vor wie Ehebruch. Und er versuchte, nicht an die Männer zu denken, die Suzanne im Laufe der Jahre nach der Scheidung gehabt hatte. Jay wusste, dass Suzanne es für seinen größten Fehler hielt, dass er Dinge, die ihn unglücklich machten, einfach verdrängte. Und er musste zugeben, dass sie darin Recht hatte.
    Als er durch die vertrauten Straßen von Woodsboro fuhr, empfand er wie üblich eine Mischung aus Bedauern und Freude. Auch wenn er längst woanders wohnte – dies war seine Heimatstadt. Er erinnerte sich daran, wie Suzanne als kleines Mädchen immer an der Ecke auf ihn gewartet hatte. Ihre Rattenschwänzchen im ersten Schuljahr, das komische kleine Barett, die rosa Blumen und blauen Schmetterlinge, die sie sich in die Haare geflochten hatte. Unter der alten Eiche an der Ecke von Main und Church hatte er sie zum ersten Mal geküsst. Sie hatten schulfrei bekommen, weil es so heftig schneite, und anstatt mit seinen Freunden eine Schneeballschlacht zu veranstalten, brachte er sie nach Hause. Sein Herz hatte so heftig geklopft, als sie sich küssten, dass ihm ganz schwindlig geworden war.

    Dann musste er daran denken, wie glücklich sie gewesen waren, als er sein Examen gemacht hatte und sie wieder nach Woodsboro zurückgehen konnten. In der kleinen Wohnung

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