Die falsche Tochter - Roman
sagte, durch die Adoptionen der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen.«
»Was war mit seiner eigenen Familie?«, fragte Callie. »Es muss doch Menschen gegeben haben, denen er nahe stand, persönlich wie im Beruf.«
»Was seinen Beruf angeht, kann ich das nicht sagen. Auf gesellschaftlicher Ebene hatten wir zahlreiche gemeinsame Bekannte. Seine Frau war reizend, wenn auch ein wenig unscheinbar. Nein, das ist der falsche Ausdruck«, korrigierte sich Simpson entschuldigend. »Sie war still und kümmerte sich hingebungsvoll um Carlyle und ihren Sohn. Aber sie wirkte … irgendwie substanzlos, möchte ich sagen. Eigentlich nicht die Art Frau, die man mit einem solchen Mann in Verbindung bringt. Er hatte übrigens zahlreiche Affären.«
»Er hat seine Frau betrogen?« Callies Stimme klang kalt.
»Ja, es gab andere Frauen.« Simpson räusperte sich und rutschte unbehaglich auf seinem Sessel hin und her. »Er sah gut aus, und, wie gesagt, er war äußerst dynamisch. Offensichtlich verschloss seine Frau die Augen vor seinen Indiskretionen. Allerdings haben sie sich letztendlich doch scheiden lassen.«
Simpson beugte sich vor und legte eine Hand auf Callies Knie. »Untreue beweist vielleicht, dass ein Mann schwach ist, aber er wird dadurch noch lange nicht zum Monster. Und, gestatte mir die Bemerkung, das Kind wurde in Maryland entführt, und du wurdest deinen Eltern in Boston übergeben.« Er tätschelte ihr väterlich das Knie und lehnte sich dann wieder in seinem Sessel zurück. »Ich kann zwischen diesen beiden Ereignissen
beim besten Willen keinen Zusammenhang erkennen.«
Er schüttelte den Kopf und schwenkte sein Glas, sodass die Eiswürfel darin klirrten. »Woher hätte er wissen sollen, dass es eine Gelegenheit geben würde, genau zu dem Zeitpunkt, als er einen Säugling brauchte, ein Kind zu entführen?«
»Genau das möchte ich herausfinden.«
»Haben Sie immer noch Kontakt zu Carlyle?«, fragte Jake.
Simpson schüttelte den Kopf. »Nein, schon seit einigen Jahren nicht mehr. Als er aus Boston wegzog, haben wir uns aus den Augen verloren. Außerdem war Marcus beträchtlich älter als ich; er könnte mittlerweile durchaus schon tot sein.«
»Oh, Henry, sag doch so etwas nicht!« Barbara nahm die Kuchenplatte vom Tisch, um Callie die Petits Fours anzubieten.
»Aber das ist doch nur realistisch«, entgegnete er. »Er müsste mittlerweile an die neunzig sein, und als Anwalt praktiziert er bestimmt nicht mehr. Ich selbst habe mich vor fünfzehn Jahren zur Ruhe gesetzt und bin hierher gezogen, um den Wintern in New England zu entkommen.«
»Und um mehr Golf zu spielen«, fügte Barbara nachsichtig lächelnd hinzu.
»Das ist definitiv ein wesentlicher Faktor.«
»Diese Frau da in Maryland – es muss furchtbar für sie gewesen sein«, sagte Barbara. »Ich selbst hatte nie Kinder, aber ich kann mir vorstellen, was sie durchgemacht hat. Glauben Sie nicht auch, dass man in einer solchen Situation nach jedem Strohhalm greift?«
»Ja, sicher«, stimmte Callie ihr zu. »Manchmal erwischt man jedoch auch den richtigen.«
Als sie wieder in Jakes Auto saßen, lehnte Callie sich auf dem Beifahrersitz zurück und schloss die Augen. Jetzt war sie froh, dass Jake darauf bestanden hatte zu fahren. Sie hätte nicht mehr die Energie dazu aufgebracht.
»Er will es einfach nicht wahrhaben. Er betrachtet Carlyle
immer noch als Freund. Der brillante, dynamische Ehebrecher.«
Jake legte den Rückwärtsgang ein. »Und du hast gedacht, dass dir diese Beschreibung irgendwie bekannt vorkommt, nicht wahr?«
Es ist dir also nicht entgangen, dachte Callie. Sie spürte, dass sie in diesem Moment nicht die Kraft hatte, mit Jake zu streiten. »Das ist mir alles zu viel«, sagte sie. »Ich will einfach nur hier weg.«
»Gut.« Jake steuerte den Wagen rückwärts von der Einfahrt auf die Straße zurück. Dann lenkte er ihn an den Straßenrand und strich Callie mit dem Handrücken über die Wange. »Ich … ich habe dich lieb, ob du es nun glaubst oder nicht.«
In diesem Moment hätte sie sich am liebsten abgeschnallt und wäre zu ihm auf den Schoß gekrabbelt. Sie wollte seine Arme um sich spüren, ihn ebenfalls umarmen. Aber sie würde diesem Verlangen niemals nachgeben. »Okay, dann lass uns das Ganze mal zusammenfassen. Mein erster Kommentar ist der: Wir haben Henry und Barb nicht gerade den Tag verschönt, oder?«
Jake fuhr wieder an und lenkte den Wagen auf die Straße zurück. »Hast du das erwartet?«
»Ich weiß
Weitere Kostenlose Bücher