Die Familie: Roman (German Edition)
schiss sich in die Hose.«
Sie unterdrückte ein erneutes Kichern und stieß ihn mit der Schulter an. »Du bist schrecklich.«
Die Frau gleich vor ihnen, die an Toms Seite ging, warf einen Blick über die Schulter. Sie sagte nichts. Dann sah sie wieder nach vorn.
Kyle zeigte ihr den Mittelfinger.
Paula stieß ihn ein weiteres Mal an.
Das ist nicht schlecht, dachte er. Sie mag mich. Vielleicht kann ich sie ein bisschen begrapschen, ehe wir hier rauskommen.
Carol Marsh zuckte zusammen, als Helen den Arm um ihren Rücken legte.
»Du zitterst wie Espenlaub«, sagte Helen.
»Ich friere halt.«
»Du hättest auf mich hören sollen. Ich habe dich gewarnt, dass es hier unten kühl sein würde.«
Ja, Helen hatte sie gewarnt. Helen hatte jede Menge guter Ratschläge auf Lager. Sie war sechsunddreißig, nur fünf Jahre älter als Carol, aber sie behandelte Carol wie ein Kind. Zu viele Jahre im Klassenzimmer mit Kindern, denen es an gesundem Menschenverstand mangelte.
Sie benahm sich so, seit Carol an der George-Washington-Grundschule angefangen hatte. An Carols erstem Arbeitstag hatte die erfahrenere Lehrerin sie unter ihre Fittiche genommen. Und sie seitdem dort behalten.
Das gluckenhafte Benehmen hatte sie bis zu dieser Reise nie besonders gestört. Doch Tag für Tag und Nacht für Nacht mit Helen zusammen zu sein hatte schließlich dazu geführt, dass sie dieses Gebaren als nervig und erdrückend empfand.
Mittlerweile, am fünften Tag ihres Urlaubs, standen ihr die ständigen Ratschläge und die damit verbundene Unterstellung, sie sei nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen, bis zum Hals.
Als Helen an diesem Morgen im Hotelzimmer gesagt hatte: » Damit gehst du nicht auf die Führung«, hatte sie entgegnet: »Ich wüsste nicht, was daran falsch sein sollte.«
Es ging um ein gelbes Strandkleid.
»Also, zieh wenigstens einen Pullover über. Du willst dir doch keine Erkältung holen.«
»Es sind über dreißig Grad draußen.«
»Wir werden fünfzig Meter unter der Erde in einer kühlen, feuchten Höhle sein. Und im Reiseführer steht … Warte, ich hole ihn.« Sie wird mir eine Unterrichtsstunde erteilen. Helen fand das Büchlein, schlug es bei einer Karte auf, auf der sie ihren derzeitigen Aufenthaltsort eingezeichnet hatte, und las vor: »›Obwohl die Mordock-Höhle aufgrund ihres ungewöhnlichen Lüftungssystems, durch das Luft von der Oberfläche hereingeblasen wird, im Sommer wärmer ist als viele vergleichbare Höhlen, ist es doch kühl dort unten. Wer bei der Führung nicht frieren möchte, sollte einen Pullover oder eine dünne Jacke tragen.‹«
»Ich glaub, ich werd’s überleben«, sagte Carol.
»Tja, du musst es natürlich selber wissen.«
»Stimmt.«
Jetzt wünschte Carol, sie hätte sich für ihre kleine Rebellion ein anderes Thema gesucht. Die Kühle in der Höhle hatte sich eine Weile gut angefühlt, doch schon bald hatte sie sie gestört. Seit das Licht ausgegangen war, zitterte sie. Sie vermutete, dass es weniger an der Temperatur lag als an ihrer Angst. Was auch immer der Grund war, wärmere Kleider hätten jedenfalls geholfen.
Ihr Strandkleid verbarg nicht viel. Es war kurz und ärmellos und vorn und hinten tief ausgeschnitten. Der Stoff war so leicht, dass er um sie herum zu schweben und ihre Haut kaum zu berühren schien. Er war luftdurchlässig. Herrlich, wenn es heiß war. Nicht so toll hier unten.
Helens Arm fühlte sich auf ihrem Rücken warm und gut an. Sie legte ihren Arm um Helen.
Spürte, wie dick ihr Pullover mit Zopfmuster war.
Ob sie ihn mir wohl für ein paar Minuten überlassen würde?
Ich frage sie auf keinen Fall, sagte Carol sich.
Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir hier raus sind.
Sie blickte auf. Von hinten fiel Licht auf die Schultern und Köpfe der Leute vor ihr. Der Schein beleuchtete auch die glatten grauen Höhlenwände zu ihrer Rechten. Sie sah eine geriffelte Tropfsteinwand, über die ihre Führerin, Darcy, auf dem Hinweg gesprochen hatte.
Wir haben schon über die Hälfte des Weges zu den Aufzügen geschafft, bemerkte sie.
Helen schien sich plötzlich zu versteifen. Ihre Hand drückte fester gegen Carols Seite.
»Alles in Ordnung?«, flüsterte Carol.
»Wir … wir sind doch nicht hier drin gefangen?«
»Nein, natürlich nicht. Bald sind wir wieder draußen.«
»Vielleicht müssen sie einen Elektriker aus der Stadt holen. Das kann eine Weile dauern.«
»Sie lassen uns nicht hier unten, Helen.«
»Ich weiß. In spätestens ein paar
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