Die Familie: Roman (German Edition)
weil sie überall sein konnten. Man lehnte sich gegen eine Höhlenwand, um sich auszuruhen, und vielleicht lehnte man sich gegen einen von ihnen , und ehe man sich versah, packte er einen.
Es stellte sich heraus, dass sie gute Menschen waren, erinnerte sich Wayne. In Ton verwandelt zu werden war die Strafe dafür, dass man etwas verbockte. Es war nicht Mings Werk. Irgendeine Frau. Eine böse Königin oder Prinzessin.
Ziemlich weit hergeholt. Damit konnte man vielleicht 1938 oder wann immer durchkommen, aber nicht heutzutage.
Trotzdem war es eine gruselige Idee.
Überall um uns herum. In den Wänden. Nachdem wir vorbeigegangen sind, materialisieren sie sich – graue, missgestaltete Kreaturen der Höhle. Sie sind gebeugt. Sie torkeln eher, als zu laufen. Und sie beginnen, sich anzuschleichen.
Etwas schnappte Waynes Hand. Er zuckte zusammen und sog scharf die Luft ein.
Es war Katie.
Sie lachte.
»Du hast mich zu Tode erschreckt«, flüsterte er.
Katie lachte noch lauter.
Er wusste, dass es für Katie eine der wahren Freuden des Lebens war, ihrem Dad einen schönen Schrecken einzujagen, selbst wenn es aus Versehen geschah (wie dieses Mal). Es stand auf derselben Stufe, wie über Popel, Kotze, Ärsche und Fürze zu reden.
Bei derartigen Vorlieben, dachte er, wird es noch so weit kommen, dass sie lieber Stephen King liest als die Bücher ihres guten alten Vaters.
Wayne bemerkte, dass das Paar vor ihm seine Unterhaltung fortsetzte – und seine geflüsterten Worte wahrscheinlich nicht hören würde. »Du hast mich so erschreckt, dass ich, glaube ich, ein Loch in meine Unterhose gesprengt habe.«
»Hast du sie in eine Hershey-Schokoladenfabrik verwandelt?«, fragte Katie.
»Wo hast du denn so was gelesen?«
»Sie hat dir zugehört, Schatz«, verkündete Jean.
»Ich stehe mehr auf Nestlé.«
Calvin Fargo hatte vor langer Zeit den Überblick verloren, wie viele Knochen er sich schon gebrochen hatte, doch im Augenblick hatte er das Gefühl, er könnte sie problemlos zählen, wenn er Lust dazu hätte. Jeder der alten Brüche schrie nach Aufmerksamkeit. Daran war die feuchte Kälte schuld.
Calvin war über dreißig Jahre lang Stuntman gewesen, hatte einen großen Teil der Zeit im Sattel verbracht und in über hundert Filmen ins Gras gebissen. Er war von Pferden und Rindern niedergetrampelt, von Postkutschen und Buggys (und in einem Remake von Ben Hur von einem Streitwagen) überfahren worden und von Balkonen, Dächern und Klippen gefallen. Insgesamt hatte er sich mehr Brüche zugezogen, als ein Mensch Knochen hat.
Der handgeschnitzte Gehstock aus Mesquite-Holz mit dem Messingknauf in Form eines Pferdekopfs war ein Scherzgeschenk zu seinem fünfzigsten Geburtstag gewesen. Auch wenn er damals ziemlich kaputt gewesen war, hatte er noch ohne Hilfe eines Stocks herumlaufen können. Doch das Geschenk kam von Yakima Canutt, der nicht nur sein alter Kumpel, sondern auch einer der größten Stuntmen aller Zeiten war, deshalb hielt Calvin den Stock in Ehren und nahm ihn überall mit hin – auch wenn er ihn nicht brauchte.
Heute war er sehr froh, über dieses Hilfsmittel verfügen zu können.
Doch der Stock reichte aus. Er konnte ganz sicher darauf verzichten, dass auch noch Mavis versuchte, ihn zu stützen.
»Lass meinen Arm los, Süße«, sagte er, als er bemerkte, dass sie sich nicht einfach nur untergehakt hatte, sondern daran zog. »Ich brauche keine Frau, die an mir rumzupft.«
»Sei nicht so ein Chauvinist, Schätzchen.«
»Ich kann mich wirklich glücklich schätzen«, sagte er. »Ich bin der einzige Mann in diesem Land, der mit einem Mädel verheiratet ist, das immer noch spricht wie aus einer Ausgabe des Cosmopolitan aus den Sechzigern.«
»Ach, hör auf, dich zu beschweren.«
»Dann hör du auf, an meinen Gliedern zu zerren.« Sie stützte ihn nicht länger, ließ jedoch die Hand auf seinem Ellbogen liegen. »Vielen Dank.«
»Hochmut kommt vor dem Fall.«
»Zum Teufel, jetzt fängt sie mit der Bibel an!«
Er hörte Mavis leise kichern. »Du alter Kauz. Ich weiß nicht, wie ich es mit dir aushalte.«
»Weil ich der schärfste Stecher nördlich des Rio Grande bin, deshalb.«
»Pssst. Sonst hört dich noch jemand.«
»Sollen sie doch. Sprich wahr und beschäme den Teufel, wenn du schon so versessen auf Sprichworte bist, während du gerade mal keine Männer als Chauvis beschimpfst.«
»Du bist wirklich streitsüchtig heute.«
»Diese Pfeife hat mich einen alten Sack genannt.«
»Tja, du hättest
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