Die Familie: Roman (German Edition)
Hank.
»Wer hat ihn getötet?«
»Das Mädchen, möglicherweise.«
»Oder … oder es gibt noch andere. Andere wie sie.«
Und wenn das stimmt, dachte Hank, wo sind sie dann?
Wo ist Paula? Was, wenn sie bei dem Mann war und … Es geht ihr gut. Gott, bitte. Ihr darf einfach nichts zugestoßen sein.
Er hatte das Gefühl, eisige Hände zerdrückten sein Herz.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte er.
Hank wandte sich von der Leiche ab, stützte eine Hand auf den Mauersims und beugte sich durch das Loch. Er streckte die Laterne nach vorne.
Er hatte erwartet, auf der anderen Seite den schmalen, flachen Fluss fließen zu sehen. Stattdessen befand sich dort ein See, dessen ruhige Oberfläche im Umkreis einiger Meter im Laternenlicht glitzerte.
Er sah zwei Körper auf dem Bauch im Wasser treiben, die Köpfe und Beine unter der Oberfläche.
Einer trug einen weißen Pullover (Paula hatte ihren weißen Pullover angezogen, weil der Reiseführer vor den kühlen Temperaturen in der Höhle gewarnt hatte), und Hank verspürte einen Anflug von Panik, bis er bemerkte, dass die Beine in einer schwarzen Hose steckten, nicht in einem Rock.
Die andere Leiche trug ein kariertes Hemd und blaue Jeans.
Obwohl die Köpfe beider Leichen untergetaucht waren, konnte er durch das klare Wasser ihr treibendes Haar erkennen. Langes Haar. Das bewies nicht unbedingt, dass es sich um Frauen handelte, doch ihre Hüften waren ausladend, und die Hintern wirkten ebenfalls weiblich.
Frauen, eindeutig.
Doch keine von ihnen war Paula.
Und keine trug die blaue Uniform der Führerinnen.
»Was siehst du da?«, fragte Chris.
»Es sind nicht unsere Töchter«, sagte er sofort, um ihr den Moment des Zweifels zu ersparen. »Zwei Leichen. Frauen.«
»Mein Gott. Bist du sicher, dass …?«
»Darcy hat so eine Uniform wie Lynn getragen?«
»Ja.«
»Das dachte ich mir. Sie ist nicht dabei.« Er sah ein rechteckiges Metallboot ein Stück weiter links. Kleiderbündel lagen auf den Sitzen. »Und da schwimmt ein leeres Boot. Da drüben ist ein See«, fügte er hinzu.
»Der Lake of Charon«, sagte Chris.
»Wie kommt es, dass es hier einen See gibt?«
»Elys Mauer hat den Fluss aufgestaut. Mit den Booten fahren sie einen über den See.«
Von seiner Position hinter dem oberen Rand der Mauer konnte Hank in das Boot blicken. Er sah weder Ruder noch einen Motor.
»Wie groß ist der See?«, fragte er.
»Ich weiß nicht, vielleicht sind es fünfzig Meter bis zum Steg. Er ist aber nicht besonders tief. Ich glaube, Darcy sprach von anderthalb Metern.«
Das hätte er beim Anblick des steinigen Grunds auch geschätzt, doch er wusste, dass das klare Wasser die Perspektive verzerren und der See um einiges tiefer sein konnte, als es schien.
»Ich schätze, wir müssen ein kleines Bad nehmen«, sagte er.
Hank kletterte durch das Loch, setzte sich auf die Mauerkante und ließ seine Beine in den See hängen. Dann hielt er die Laterne hoch und rutschte hinab. Das Wasser stand ihm bis zur Brust. Die Kälte verschlug ihm den Atem. »Ahhh.«
»Alles in Ordnung?«
»Da friert man sich die … die Füße ab.«
Als er sich umdrehte, tauchte Chris in dem Loch auf. »Einen Moment«, sagte er. Er watete zum Boot. Über einem Sitz nahe dem Bug hingen ein kariertes Hemd und eine Jeans, ähnlich wie die tote Frau sie trug. An der Bank lehnte ein über einen Meter langes Brett, dessen obere Hälfte verkohlt war. Eine weitere Hose lag auf einem Sitz in der Mitte. Hank sah dort außerdem ein graues Sweatshirt. Und einen grünen Pullover (nicht Paulas).
Hank stellte die Laterne auf eine der Sitzbänke, kehrte zur Mauer zurück und streckte die Arme nach oben. Chris reichte ihm das Baby. Er drückte das kleine, sich windende Bündel an die Seite seines Gesichts.
Chris kletterte auf die Mauerkante. Während sie sich zum Sprung bereitmachte, starrte sie an Hank vorbei – einen angeekelten Ausdruck auf dem Gesicht. Dann blickte sie nach unten und sprang. Mit einem leisen Platschen landete sie im Wasser. Ihre Augen weiteten sich, und sie fletschte die Zähne.
»Kühl, was?«
»Allerdings.« Sie watete langsam zu ihm.
»Alles in Ordnung?«
Sie antwortete mit einem steifen Nicken.
»Willst du das Baby oder die Lampe?«
»Baby«, keuchte sie.
Hank übergab es ihr. Sie kuschelte es an ihre Wange. Es gab leise, gurrende Geräusche von sich.
Sie blieb an Hanks Seite, als er zurück zum Boot ging.
»Dieses Stück Holz da«, sagte er. »Es sieht aus, als hätten sie es als Fackel
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