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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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letzte Nacht im Bett unterhalten habe.‹ Der Präsident glaubte, sich verhört zu haben. Sein Gesicht verriet Zweifel und wohl auch Wunschdenken. ›Heute Nacht‹, fügte Frau Brandt hinzu, ›als ich nicht schlafen konnte, habe ich mir zurechtgelegt, was ich Ihnen in meinem besten Englisch sagen und wie ich auf Ihre Antworten antworten würde. Aber jetzt kann ich vor Müdigkeit weder Deutsch noch Norwegisch, geschweige denn Englisch sprechen.‹ Der amerikanische Präsident war amüsiert und beeindruckt.«

Rut Brandt auf einer Modenschau ihres bevorzugten Modeschöpfers Uli Richter, 1972
[picture alliance/Chris Hoffmann]
    Mal ganz abgesehen davon, ob es freundlich und metaphorisch subtil ist, jemandem den Charme einer Mentholzigarette zu attestieren, so stellte diese Reportage der Kanzlergattin ein außerordentlich gutes Zeugnis aus. Zwar bleibt die Frau hier auf das hübsch anzusehende Objekt reduziert, und auch ihr »Flirt« mit Nixon wird auf einer erotisch aufgeladenen Ebene abgehandelt, andererseits wird die Frau in der politischen Sphäre überhaupt wahrgenommen, aus ihrer Stummheit erlöst und darf sprechen. Es ist zwar nur Smalltalk, aber doch einer, der selbstbewusst und keck daherkommt. Die Leserinnen der »Jasmin« sollen sich freuen dürfen über diese selbstbewusste Frau, die auf internationalem Parkett eine glänzende Figur macht. Es ist ein Stellvertreterbild, das hier auf die Reise geht, die deutsche Frau kann sich sehen lassen und braucht sich selbst in Washington nicht zu verstecken. Die Frau an seiner Seite fängt an zu sprechen, die »Mutti« ist abgelöst, ein neuer deutscher Frauentyp betritt die Szene. Es ist eine Frau, die sich von den Männern nicht die Sprache verschlagen lässt, auch wenn es ihr schwerfällt, wie sie bekennt, zur Sprache zu finden.
    Die norwegische Sprache war für Rut Brandt auch eine Heimathülle, Schutzwall und half ihr, Distanz zu einem Land zu halten, dessen anhaltende Vergangenheit ihr unheimlich blieb. Jüngere Deutsche, etwa die Freundinnen ihrer Söhne, berührte sie gerne, sie war da körperlich zugewandt, Küsschen links und rechts, aber bei älteren Deutschen zeigte sie eine deutliche Körperscheu und Distanz, sie war auf der Hut. Die norwegische Sprache bot da auch einen gewissen Schutz, ganz und gar in diesem Land aufzugehen. Lange hatte sie mit ihren Kindern überwiegend Norwegisch gesprochen, bis diese dann für sich die Entscheidung trafen, sich vor allem in der deutschen Sprache zu bewegen. Matthias Brandt erinnert sich an diesen Moment der Ablösung, der Sprachtrennung, der für Rut Brandt ein Verlust gewesen sein muss: »Die erste Sprache, die ich lernte, war Deutsch, dann habe ich als zweite Sprache sehr schnell und sehr gut Norwegisch gelernt, einfach weil wir da viel Zeit verbracht haben. Es gibt ja so ein Alter bei Kindern, bevor sie in die Schule kommen, wo manchmal sechswöchige Ferien ausreichen, um komplett eine Sprache zu lernen. Und so war das ein bisschen bei mir. Ich war dann eine Zeitlang zweisprachig, und wechselte dann je nach Gesprächspartner. Als ich acht oder neun Jahre alt war, habe ich diese Zweisprachigkeit abgelehnt. Ich wollte zu den Deutschen gehören! Ich habe mich von einem Tag auf den anderen strikt geweigert, Norwegisch zu sprechen, sehr zum Kummer meiner Mutter. Aber ich blieb rigoros. Vielleicht empfand ich, dass in diesem Hin und Her zu viel Ungeklärtes, zu viel Chaos steckte.«

    Zur eigenen Sprache zu kommen, sich sprachlich zu behaupten, Sprachhemmungen zu überwinden, die eigene Stimme nicht zu verlieren oder gegen die Sprachlosigkeiten des Mannes an ihrer Seite anzusprechen war eine der großen Aufgaben und Herausforderungen von Rut Brandt. Der hatte sich außer Haus oft so leer und so müde geredet, dass für das Haus auf dem Venusberg kein Sprachrest mehr blieb oder die auswärtigen Sprachflüsse innerlich weiterliefen, die Debatten im Kopf, die Reden, die unausgesprochenen Appelle, die es morgen auszusenden galt, die Argumente, die er nicht losgeworden war, all die Sätze und rhetorischen Manöver, die weiter ihren Dienst taten, obwohl man lieber zur Ruhe käme und auch innerlich schwiege, aber nicht schweigen kann, weil man zur Hälfte ein Denk- und Sprechautomat ist, der immer neue Platten auf den Teller spuckt und knisternd abspielt, eine Art politische Jukebox, der man am liebsten selbst den Stecker ziehen würde, wenn man dann nicht fürchten müsste, gar nicht mehr da zu sein oder plötzlich die Stille

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