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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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kannte ihn nicht – einen kleinen Thron aus Hingabe und ehrlicher Bewunderung gebaut, seine Kenntnisse und seinen Blick gerühmt, und wer so etwas macht, hat sich nicht nur eine Begeisterungsfähigkeit erhalten, sondern auch Werte, die er gegen andere Wertvorstellungen verteidigt. Die Freunde von Matthias Brandt, die damals auf dem Venusberg ein- und ausgingen, haben Lars Brandt nur selten erlebt, meist, so heißt es übereinstimmend, saß er in seinem Laboratorium aus Musik, Buchstaben und Zeichen und versuchte, irgendetwas auf die Spur zu kommen. Der beste Freund von Matthias in jenen Jahren, Andreas Brenke, erinnert sich jedoch, dass der große Lars, denn der war ja zehn Jahre älter und lebte in einer ganz anderen Umlaufbahn, zu den Geburtstagen von Matthias eine Art Stimmungsmacher gab, mit Zylinder und Frack, moderierend und singend.
    Erinnert sich Matthias noch an Lars in Zylinder und Frack?
    »Lars hat immer meine Kinder-Geburtstage animiert. Er war Conférencier, der dann auch Gitarre spielte. Natürlich habe ich meinen großen Bruder bewundert. Man orientiert sich ja doch sehr stark an so einem Vorbild. Aber das war dennoch nicht vergleichbar mit anderen Familien. Lars hatte ja auch seinen eigenen Bereich in der riesigen Villa. Das war schon immer so ein regelrechter Marsch bis zu ihm. Ich bekam ihn gar nicht mit, wenn ich nicht erst mal eine Anstrengung unternommen habe. Das ist ohnehin kein unwesentlicher Faktor an unserem Bonner Leben auf dem Venusberg gewesen. Das Haus war eben so groß, dass man niemandem zwangsläufig begegnete, sondern man musste sich immer auf die Socken machen. Von alleine ist da nichts passiert. Das ist natürlich ein riesiger Unterschied zu anderen Lebensmodellen, etwa wie bei Andreas’ Zuhause, wo die Familie ständig durcheinanderwuselte und die Dinge zu einem kommen. Man muss sie nicht die ganze Zeit suchen. Vielleicht ist es für ein Kind ja auch mal ganz schön, wenn die Dinge zu einem kommen, wenn man sie nicht suchen, wenn man ihnen nicht nachlaufen muss. So kann man es sagen!«
    Auch für Matthias war dieser große Bruder in vielerlei Hinsicht undurchsichtig, weit weg, ein Erwachsener eben, von dem man aber eine ganze Menge aufschnappen konnte, etwa dessen Begeisterung für Jazz-Musik. Manchmal, wenn Matthias – der auf dem Venusberg auch unter Personenschutz stand – die Leibwächter abschütteln wollte, half der große Bruder. Lust auf ein Eis? Der versteckte einen dann in seinem VW auf der Rückbank, wo man sich zu ducken hatte, wenn man das Tor passierte, und schon waren zwei Brandt-Söhne unterwegs, wo die wachsamen Leibwächter nur einen gesehen hatten. So wie Lars den Bruder zum Verschwinden brachte, wurde übrigens auch der Vater zwei- oder dreimal aus dem Haus geschleust. Für sich hatte Lars diese Art von gepanzerter Begleitung strikt abgelehnt, er wollte keine geschmeidigen Aufpasser, bei denen eine Pistole die Jacke ausbeulte.
    Matthias hatte diese Wahl nicht. Als er 1967 auf den Venusberg zog, war er sechs Jahre alt, als er 1974 die gut gesicherte Villa im Kiefernweg verließ, war er zwölf. Leibwächter gehörten zu seiner Existenz wie … – wie Familie? Die Mutter oder den Vater konnte man abschütteln, Leibwächter eher selten. Sie waren immer da, mal mehr, mal weniger präsent, aber stets da. Die konnte man auch vergessen, die konnte und musste man hemmungslos instrumentalisieren, auch um sich vor ihnen zu schützen, etwa wenn niemand anders zum Spielen vorhanden war, aber gegenwärtig waren sie immer. Für Kinder indes besaßen sie nicht die bedrohliche Ausstrahlung, die Erwachsene mit ihnen verbanden. Dass diese Männer und Frauen mit Sportwagen und Pistole da waren, um sie gegen Anschläge oder Entführungen zu schützen, war für das Kind eine abstrakte Größe. Matthias und seine Freunde erlebten sie zeitweilig auch als coole Typen, mit denen man schon mal eine Schneeballschlacht machen konnte. Da sie häufig wechselten, baute man zu den meisten keine persönliche Bindung auf, aber ein Leibwächter wie Fritz Sorg, der eine väterliche Ausstrahlung besaß, zeigte auch Talent zur Kummerannahmestelle, mit einem wie ihm konnte man auch über Lehrer und Klausuren sprechen. Matthias Brandt war jung und unbekümmert genug, sich an diese Schatten zu gewöhnen.
    In unserem ersten Interview zum Thema Kindheit und Jugend kommen wir auch rasch auf den Venusberg zu sprechen, denn erst hier kann Matthias Brandt einen verlässlichen und durchgängigen

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