Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Erinnerungsstrom anzapfen. Die Berliner Jahre sind nur noch in kurzen Momenten, Bruchstücken, isolierten Bildern und atmosphärischen Fetzen vorhanden. Ich frage ihn nach Freundschaften.
»Gab es gute Freunde auf dem Venusberg?«
»Ich habe ziemlich schnell Freundschaften geschlossen und bald einen besten Freund gefunden: Andreas Brenke. Ich lernte ihn in der Grundschule kennen, und er war praktisch meine ganze Kindheit hindurch bis zum meinem zwölften oder dreizehnten Lebensjahr in meiner Nähe. Die Tage, an denen wir uns nicht gesehen haben, kann man leicht zählen.«
»Dann muss er ja eine zentrale Figur für Sie gewesen sein?«
»Eine wichtige und entscheidende Figur. Ein Freund, wie es enger nicht geht, wie man es sich besser nicht wünschen kann. Wie ein Bruder. Und seine Familie, die mich wie ein eigenes Kind aufgenommen hat, war sehr großzügig. Ich bin da ein- und ausgegangen und habe in dieser Familie sehr viel Zeit verbracht; ich fand sie sicher auch interessant, weil es was vollkommen anderes war: Diese Familie lebte mit mehreren Generationen unter einem Dach, und sie lebten einen Familienzusammenhalt und ein Familienleben, was mir in meinem Elternhaus nicht so bekannt war, ein Leben, an dem ich zumindest als Teilzeitkraft gerne dran teilgenommen habe.«
»Wohnte die Familie Brenke auch auf dem Venusberg?«
»Ja! Die Straße hieß ›Am Paulshof‹, und in diese Straße sind wir dann nach dem Rücktritt meines Vaters auch gezogen. Aber ich glaube, dass eine Neigung von mir, mir andere Leben anzueignen, indem ich da hineintauche, sich schon damals gezeigt hat. In diesem Haus habe ich den Beobachterstatus aufgegeben und mich als Teil dieser Familie gefühlt. Das ist toll, dass sie das zugelassen haben. Das war für meine Kindheit ein ganz wichtiger Ort, ganz wichtige Menschen.«
»Also Sie haben da oft zu Mittag gegessen, Sie sind dort nach der Schule hingegangen?«
»Ich bin oft nach der Schule mit ihm nach Hause gegangen und bin erst abends in mein wirkliches Zuhause zurückgekehrt. Also, ich habe den ganzen Tag da verbracht. Wir waren lieber bei ihm als bei mir. Wegen der ganzen Sicherheitsgeschichten bei uns, das ging da damals schon los, es war entspannter bei denen.«
»Sie haben da Normalität gefunden?«
»Ja. Ich habe in dieser Familie am normalen Leben, am Alltag teilgenommen, wie ich das von unserem Leben nicht kannte. Ich kann mich noch daran erinnern, wie das erste Auto gekauft wurde. Das war eine richtige Sensation, das erste Auto.«
»Sie meinen jetzt das erste Auto der Familie Brenke?«
»Ja! Der Großvater bekam das Auto, er war eben der Erste, der in dieser Familie ein Auto besaß. Der Vater von Andreas arbeitete in Köln, fuhr dort aber meistens mit dem Zug zur Arbeit. Der Großvater hat dann auch oft Ausflüge mit uns gemacht in seinem VW 1600.«
»Das ist ein Käfer?«
»Nein, das war eine größere Limousine, beige, VW 1600. Und er machte damit damals so Autoausflüge mit Andreas und mir.«
»Der Großvater hieß Friedrich Gladenbeck?«
»Genau! Wir fuhren ab und zu in die Eifel mit ihm. Er war immer munter, fröhlich, hatte immer Witze auf Lager. Dabei sang er uns unanständige Lieder vor, sagte aber immer, das dürften wir nicht, auf keinen Fall zu Hause erzählen …«
»Die Lieder können Sie aber nicht mehr?
................?
»Ich meine wegen des Zeitgeistes, der da vielleicht zum Ausdruck kommt!«
»Nee!«
»Schade!«
Ziemlich beste Freunde: Andreas Brenke und Matthias Brandt
[Roswita Brenke/privat]
Ein anderer Mensch, an den sich Matthias Brandt in diesem Zusammenhang gerne erinnert, ist seine Grundschullehrerin Margarete Hinze. Wir haben uns leider nicht persönlich kennengelernt, aber wir haben uns oft geschrieben und auch telefoniert. Internet besitzt Frau Hinze nicht. Nach vielerlei Umwegen und Anrufen, Frau Hinze war mehrfach umgezogen, nach einem Brief, den ich ins Blaue schickte, kam endlich eine Antwort. Ja, sie lebe da und dort und freue sich, von mir zu hören. Wir telefonierten einige Male, und auch Matthias Brandt schrieb seiner Lehrerin einen herzlichen Brief, sie solle sich nicht gehindert fühlen, mit mir zu sprechen. Frau Hinze stimmte zu, bat jedoch um ein persönliches Gespräch, das aber aus terminlichen Turbulenzen nicht zustande kam. Daher fragte ich sie brieflich, ob wir uns nicht telefonisch unterhalten könnten. Frau Hinze schrieb mir Folgendes zurück, und, das will ich dazu sagen, Frau Hinze hat eine wunderbar gleichmäßige
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