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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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eine Feder? Erdnussmanns Blick wie Blei? Der Blick des Mannes sucht etwas, das drückt auf das Gefieder. Aber deshalb rupfte er sich nicht die Federn aus, nein, das war nicht der Grund. Ein Graupapagei kann sich aus vielen Gründen das Federkleid rupfen, es ist – ganz egal, was der Grund sein mag – stets ein Hilferuf: »Mir geht es nicht gut!« Sicher fehlte ihm eine Gefährtin, Graupapageien sind lebenslängliche Treugänger. Gesellige Tiere, die sich abends in Baumwipfel zusammenfinden und sich austauschen. Hier, in diesem Wipfel, verloren sich am Abend alle in ihren Zimmern oder vor dem Apparat, dessen heilloses Geflimmer Rocco irritierte. Vogelkundige bieten uns die folgenden Erklärungen für das Federrupfen, dieses Phänomen der Selbstverstümmelung, an: Einsamkeit, Stress, Ungezieferbefall, Zigarettenqualm, zu wenig UV-Licht, traumatische Erlebnisse, fehlende Bademöglichkeiten, zu enge Tier-/Mensch-Beziehung, Organschäden, zu geringe Luftfeuchtigkeit, Mangelerscheinungen. Was suchen wir uns aus?
    Matthias bestaunte das Tier, Jugend forscht, und schenkte ihm hin und wieder einen Fingerhut Alkohol ein. Was sah der Promille-Papagei jetzt? Was sehen wir, wenn wir Tiere ansehen?
    »Tiere hätten«, schreibt Lars Brandt in »Andenken«, »eine Brücke zur Welt sein können. Aber sie waren nur staunende Zeugen außerhalb jenes Aquariums, das uns beherbergte.« Lässt sich diese eine, diese zu Lars gehörende Empfindung zur kollektiven Empfindung der Familie machen? Zimmert sich nicht jeder der Brandts im Kontakt mit den Tieren, den zwei Hunden, der Katze, den Schildkröten und dem Papagei, seinen eigenen Steg ins Andere oder in die Welt? Rut Brandt hatte eine freie, unsentimentale Beziehung zu Tieren, Beobachter attestieren ihr eine »besondere Wirkung auf Tiere«, sie war es auch, die die Tiere zumeist in die Familie holte, adoptierte, barg. Ihrem Mann hingegen widerfuhren Tiere, er bekam sie geschenkt, mal einen Ziegenbock oder einen Affen namens Pixie, der dann jedoch, weil er die Familie mit seinem Geschrei terrorisierte, an den Berliner Zoo abgegeben werden musste. Peter, nur Zaungast in Bonn, baut keine engere Beziehung zu einem der Haustiere auf, und Matthias, der Jüngste, nimmt sie, kindlich unbefangen, als Spiel- und Abenteuergefährten, die das Haus beleben.

Zögernd nähert sich Willy Brandt dem weltberühmten Flusspferd »Knautschke«, Berlin, Mitte der fünfziger Jahre.
[Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung]
    Eines Tages nimmt Vater Brandt Matthias zur Seite und erzählt ihm die Geschichte von Rocco und seinen Brüdern. Die säßen in Togo, einer ehemaligen deutschen Kolonie. Am Rand eines Waldes bat man den Politiker, die Ohren zu spitzen. Brandt lauschte. Plötzlich vernahm er militärische Kommandos: »Rechts herum!« – »Augen gerade aus!« – »Stillgestanden!« – »Präsentiert das Gewehr!« Man befand sich am Rand eines früheren Exerzierplatzes, und die Graupapageien, die bekanntlich sehr alt werden können, hatten noch die Kommandos der kaiserlichen Armee aufgeschnappt. Nun saßen sie hochbetagt in den Bäumen und beschallten den Gast mit verlorener Zeit.
    Ist das vielleicht der geheime Auftrag der grauen Papageien? Die Stimmen der Toten bewahren? Vielleicht lebt Rocco noch. Ich habe es nicht herausfinden können. Willy Brandt nahm das Tier nicht mit, als er auszog und die Eheleute getrennte Wege gingen. Einige Jahre lebte er noch mit Rut und Matthias zusammen und krächzte Tag für Tag: »Guten Morgen, Herr Brandt!« Aber irgendwann verschenkte Rut Rocco an eine Verwandte in Norwegen, wo er jedoch nicht lange gelitten war und weitergereicht wurde. Mag sein, dass die Stimme von Willy Brandt noch ab und an, brummig und heiser, ein neugieriges Kind erschreckt. Oder Rocco pfeift die Internationale und das Lied geht durch die Wälder: »Wacht auf, Verdammte dieser Erde …«

Qualmen
»Erst musste er die technische Seite lernen – wie man inhalierte, ohne zu husten: wie man die Sinne dazu brachte, eine Drogenbenommenheit als Lust und nicht als einsetzende Übelkeit zu empfinden. Dann kamen die subtileren Lektionen in Ästhetik, unterstützt durch den Gebrauch des Badezimmerspiegels: lernen, wie man die Zigarette lässig hält, sogar beim Sprechen damit gestikuliert, als wäre man sich kaum bewusst, dass sie zwischen den Fingern klemmt; beschließen, an welchem Teil der Lippen die Zigarette am ansprechendsten hängt – von vorn und im Profil

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