Die Familie Willy Brandt (German Edition)
an deutlichen Worten fehlen. Brandt hält sich an das Rauchverbot und wird, wie er später Egon Bahr gesteht, »leiden wie ein Hund«. Man darf annehmen, dass Brandt sich niemals das Rauchen hätte »verbieten« lassen, wenn er nicht zwei Mal im kurzen Abstand Todesfurcht verspürt hatte.
Als sein Büroleiter Reinhard Wilke ihn in der Klinik besucht, bemerkt er, wie erschöpft der Kanzler ist: »Hinzu kommt das Verbot zu rauchen. Er kaut wild auf einem Kaugummi herum und ist sehr bemitleidenswert.« Die Stimmung des rauchfreien Kanzlers ist miserabel. Er legt den Ärzten dar, dass er ohne Zigaretten Fehler mache, die er sonst nicht mache, die Zigarette stehe sozusagen in der Regierungsverantwortung, doch die Ärzte kontern gelassen, Fehler würde er auch mit Zigarette machen. Doch weil der Patient derart gereizt ist, verschreiben sie ihm Valium, leicht dosiert. Brandt bleibt angeschlagen, übellaunig, neigt zu depressiven Verkapselungen. Einige Monate später ist Brandt immer noch am Boden, down, lutscht lustlos Bonbons und verbittet sich den Besuch eines Arztes: »Ach, der versteht doch nichts davon! Das ist eine psychische Sache.« Der besorgte Wilke ist mit seinem Latein am Ende: »Wir können doch schließlich keinen Psychiater zum Kanzler schicken. Vielleicht handelt es sich nicht nur um ein Entzugssyndrom? Wenn man nur helfen könnte.«
Nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers hat Brandt mehr als einmal geklagt, er hätte nicht zurücktreten müssen, wenn er »damals nur beim Rauchen geblieben wäre«. Brandt bereute bitter, der Gefährtin nicht treu geblieben zu sein, ohne sie fühlte er sich ganz offenbar nur wie ein halber Mensch. In den bleiernen Tagen vor seinem Rücktritt am 6. Mai 1974 notiert sein Berater und Freund Klaus Harpprecht, der SPD-Vorsitzende habe vor dem Parteirat geäußert, »er fürchte, daß es schiefgehen werde«. Und als ein mögliches Erklärungsmuster bot er an: »Der Nikotinentzug: Man könne das Rauchen schon aufgeben, das kann man, aber es sei wohl doch eine fast unerträgliche Nervenbelastung für jemanden, der seit seinem 16. Lebensjahr geraucht habe.«
Im Alter von 14 Jahren tritt Willy Brandt in die sozialdemokratische Kinderorganisation »Rote Falken« ein. Für den »Lübecker Volksboten« schreibt er einen Artikel über diese Gruppe, der am 12. Dezember 1928 veröffentlicht wird: »Wer sind die ›Roten Falken‹«? Wer sie sind, will ich Euch gerne verraten. (…) Die sich abseits von Alkohol und Nikotin, abseits von Schundliteratur und Kinokitsch, für den geistigen Kampf der Arbeiter erziehen.« Hinter der hier propagierten Abscheu vor der Zigarette steht der Kampf der Bewusstseinsbildung gegen die Bewusstseinsverneblung, die Zigarette wird hier umstandslos zum lähmenden Geistesgift. Vorgekaute Phrasen, ohne reiche Lebenskenntnis, aber mit Begeisterung vorgetragen und mit Vehemenz durchgesetzt. Mehrfach stimmte Brandt für den sofortigen Ausschluss von »Sündern«, die beim Rauchen erwischt worden waren, ein Verbot, das auch außerhalb der Gruppe zu beachten war. Es galt damals, die »Roten Falken« vom Ruch des Verkommenen, des Sittenlosen und Zügellosen zu befreien. Diese jugendfürsorgliche Askese wird auch Peter Brandt noch kennenlernen, als er aus eigenem Antrieb 1963 in Berlin den »Falken« beitritt und pädagogischen Leitsätzen wie »Der rote Falke raucht und trinkt nicht!« begegnet.
Als der neunzehnjährige Willy Brandt im April 1933 an Bord eines Fischkutters Deutschland verlässt, ist er längst Raucher. Er wird es ein Leben lang bleiben, auch wenn er sich 1972 zeitweilig dem Rauchverbot beugt, ein Diktat, das 1978 erneuert wird, als die Ärzte feststellen, dass er einen doppelten Herzinfarkt erlitten hat. Und obgleich mit seiner dritten Frau eine strenge Wohlergehenswächterin penibel darauf achten wird, dass er nicht sündigt, schnorrt er heimlich mit lausbübischer Freude und Beharrlichkeit. Ja, doch, den ein oder anderen Entwöhnungsversuch hat er selbst unternommen, aber der Erfolg hielt sich in Grenzen. So schreibt er am 25. Oktober 1954 an Rut, die sich in Norwegen aufhält: »In dieser Woche steht fast jeden Tag ein Zahnarztbesuch auf dem Programm, was mich nicht gerade begeistert. Um es noch schlimmer zu machen, habe ich den heroischen Versuch gestartet, meinen Nikotinverbrauch zu reduzieren – wir werden sehen, was daraus geworden ist, wenn Du nach Hause kommst.« Es war nichts daraus geworden.
Im Jahr 1957 spitzt sich der
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