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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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betrachtet –, und wie man bei beiden Ansichten am besten die Augen gegen den Rauch zukneift. Das Besondere an Zigaretten war, wie er herausfand, dass sie dem Gesicht, das stets nackt und für sein Alter jung gewirkt hatte, Jahre hinzufügte. An seinem siebzehnten Geburtstag war er dann bereit. Sein Rauchverhalten hielt den kritischen Blicken seiner Altersgenossen stand – keiner lachte –, und damit war er initiiert.«
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    Heinrich Böll sah es nicht gern, wenn seine Söhne die Zigaretten nur zur Hälfte rauchten und sie dann achtlos ausdrückten. Gewissenhaft gierig rauchte er den Glimmstängel bis auf den Filter herunter und gab ihm erst dann den Laufpass. Er wusste noch, was es heißt, sich nach einer Zigarette zu verzehren. Seine Romane und Erzählungen liest man nicht ohne Gefahr, nikotinsüchtig zu werden, mir ging es jedenfalls so. Da rauchen einsame Männer und einsame Frauen, Kriegerwitwen, Kriegsversehrte, Vertreter mit fadenscheinig gewordenen Anzügen, Clowns, vom Glauben abgefallene Priester, da rauchen alle, die nach Gott, Geborgenheit, Rettung und großen Antworten suchen. Die große Antwort kommt nie, Gott – käme er vorbei – hätte wahrscheinlich auch eine Zigarette im Mundwinkel. Es würde mich nicht wundern, wenn es bereits Doktorarbeiten über das Rauchen im Werk von Böll gäbe. Dabei käme dann vermutlich heraus, dass in Bölls Werken Wirtschaftsbosse nur Zigarren, glaubensfeste Priester Pfeife, zweifelnde Priester hingegen Zigaretten und Schurken (irgendwelche finsteren Ministerialbeamten, Waffenfabrikanten oder Ex-Nazis) gar nicht rauchen. Für Böll war der Tabak Brot, eine Art leicht entflammbarer Glauben, ein kleines Gebet, eine Reise, ein Ausstieg, Sucht, Rauchhelm, Weihrauchstängel, ein Gedicht auf Lunge und dergleichen mehr.

    Böll schrieb 1972, wenn ihm nur einmal vier oder fünf Monate Zeit in den Schoß fallen würden, »mit der dazugehörigen Ruhe«, wie er hinzufügte, dann würde er gerne »einen längeren biographischen Essay über Willy Brandt schreiben«. Irgendwann wäre er sicher bei der Frage angelangt: Warum raucht der Mann so viel? Wie wenig heute in der medialen Öffentlichkeit geraucht wird, lässt sich an dem kettenrauchenden Alt-Kanzler Helmut Schmidt festmachen, der als letzter öffentlicher Dauerraucher im deutschen Fernsehen wie ein Fossil aus längst vergangenen Zeiten angestaunt wird. Die Zigarette gehört zum medialen Bild des Politikers Brandt, sie wurde eines seiner ikonographischen Wesensmerkmale. Joschka Fischer, der gerade Außenminister geworden war, ließ 1998 sondieren, ob man nicht ein Brandt-Gemälde von Andy Warhol für sein Amtszimmer ankaufen könne, es zeigt den rauchenden Brandt, einen mondän-melancholischen Herrn mit Zigarettenspitze, der mit der Aura eines Stummfilmstars in die Kamera blickt.

    Was für eine Beziehungsgeschichte haben Willy Brandt und die Zigarette? Was erzählt diese Sucht über ihn? Wie sehr sie ihm zur unentbehrlichen Gefährtin, zur Nervenstütze geworden war, wusste man spätestens seit 1972, als Brandt das Rauchen verboten worden war. Kein anderer Wahlkampf in der Geschichte der Bundesrepublik hat die Menschen so sehr elektrisiert und emotionalisiert, kein anderer Wahlkampf hat Willy Brandt physisch so gemartert. Seine Stimme versagte, die Kehle fühlte sich brandig und rau an, das Schlucken schmerzt, über die entzündeten Stimmbänder strich stechend der Rauch, abends bringt Brandt nur noch ein heiseres Krächzen zustande. Brandt bangt, fürchtet, glaubt, es sei Kehlkopfkrebs. Er begibt sich im November 1972 in die Hals-Nasen-Ohrenklinik der Bonner Universität. Der behandelnde Arzt findet eine Geschwulst und diagnostiziert, sie befinde sich vermutlich »an der Grenze zur Bösartigkeit«. Todesangst, die erste! Während der Operation läuft etwas schief. Brandt droht zu ersticken, erwacht aus der Narkose und registriert deutlich das hektische Treiben der Ärzte, die ihn zu stabilisieren versuchen. Todesangst, die zweite!
    Als er wieder zu sich kommt, sind die Nachrichten gut und schlecht zugleich: Die Geschwulst war nicht bösartig, aber Zigaretten sind von nun an verboten. Die Wahl ist triumphal gewonnen, doch der Kanzler liegt zwei Wochen im Bett, darf nicht reden, nicht rauchen. Er schreibt Briefe, flüstert Rut ein paar Worte ins Ohr. Professor Walter Becker, der behandelnde Arzt, spricht gegenüber Brandt ein striktes Rauchverbot aus und lässt es auch Rut gegenüber nicht

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