Die Familie Willy Brandt (German Edition)
sterben« (über Intriganten in Brandts Nähe) oder »Das Maß seiner körperlichen Eloquenz steigerte sich, alles steigerte sich, die Gestik, die Mimik, der Körper fing an zu sprechen. Wenn er mich sah, zwischen den anderen Fotografen, ging er auf mich ein« (über Brandt als Partner der Fotografen, als Mitspieler). Über den Raucher Willy Brandt sagt er den drastisch anschaulichen Satz: »Helmut Schmidt pafft nur! Wehner paffte auch nur! Paffer, das sind keine Raucher, das sind Paffer! Willy Brandt hat tief inhaliert, das war ihm eine richtige Leidenschaft, es kam hinten wieder raus.« Darchinger stößt das Wort »Paffer!« mit einer gewissen knurrigen Verachtung aus. Brandt war kein »Paffer«, er war Raucher, der die Zigarette verschlang und sich den Rauch so zu eigen machte, dass man den Eindruck gewinnen konnte, er sei Teil seines Leibes. Auf der Suche nach dem Raucher Willy Brandt stößt man auf einige Anekdoten. Als Brandt 1961 das erste Mal als Kanzlerkandidat antritt, raucht er in der Öffentlichkeit nur noch verschämt, verstohlen. Wenn Fotografen in der Nähe sind, sagt er: »Bitte nicht, ich rauche ja nicht!« Der »Spiegel« bringt seinen Lesern am 19. Februar 1964 zur Kenntnis: »Willy Brandt, 50, Zigaretten-, Zigarren- und Pfeifenraucher, lehnte als Ehrengast bei einem Fischessen der bayerischen SPD in Landshut eine angebotene Zigarre mit der Begründung ab: »Nein, das geht nicht. Seit Erhard Bundeskanzler ist, rauche ich keine Zigarren mehr.«
Hatte Brandt eigentlich eine Stammmarke? Weder Egon Bahr, Klaus Schütz oder Hans Koschnick, alte Aschenbechergefährten allesamt, können sich darauf besinnen. Peter Brandt, der es selbst nie zum existentiellen Raucher gebracht hat, glaubt sich zu erinnern, dass sein Vater eine Zeitlang »Senoussi«-Zigaretten rauchte, ein Orienttabak, filterlose, auffallend lange Zigaretten, die in einer orangefarbenen Schachtel steckten. Verbürgt ist zumindest, dass Brandt Zigarillos mit den wohlklingenden Namen »Weiße Dame« und »Attaché« rauchte, die Letzteren sinnigerweise in seinem Amt als Außenminister. Lars Brandt lässt mich, spontan befragt, via E-Mail wissen: »Mein Vater rauchte früher HB, später Lord Extra. Die letzten Jahre Marlboro. Weiße Dame? Kann ich mich nicht erinnern. Attaché auf jeden Fall. Senoussi stand in Schlachtensee für Gäste herum.«
In die Attaché-Phase fällt auch die eindrucksvollste »Raucherstudie« über Brandt, die mir begegnet ist. Die Dokumentation »Einige Tage im Leben des Willy Brandt« ist eines der bemerkenswertesten Fernsehporträts über Brandt überhaupt. Der konservative SFB-Journalist Matthias Walden begleitete den Außenminister im Winter 1968 einige Tage sehr intensiv, er ist bei Staatsbesuchen in Italien, Frankreich und Marokko dabei, folgt ihm auf Schritt und Tritt, ist im Hotel, im Flugzeug, im Büro, zu Hause auf dem Venusberg und bei einem Landesparteitag an seiner Seite. Er fängt auffallend viele Raucher-Szenen ein, derart viele Bilder voller Qualm und Asche, dass der Journalist am Schneidetisch selbst überrascht ist und den Porträtierten darauf anspricht.
Walden: »Sie rauchen sehr stark, Herr Minister. Man sieht Sie auf sehr vielen Aufnahmen gerade dieses Filmes Zigaretten anzünden, rauchen und ausdrücken. Haben Sie manchmal versucht, das einzuschränken? Zählen Sie die Zigaretten?«
Brandt: »Ich zähle sie nicht, ich wage sie nicht zu zählen. Ich hab’s versucht, erfolgreich, das Rauchen einzustellen. Mark Twain sagt, es ist gar nicht schwer, er habe es zwanzig Mal erfolgreich gemacht. Ich bin ursprünglich ein Pfeifenraucher gewesen, das kann ich jetzt gar nicht mehr, das Image ist vergeben, und ich bin kein Sklave dieser … Leidenschaft, wenn man sie Leidenschaft nennen will. Man muss im Grunde doch auf eine ganze Menge verzichten, sag ich mir, solange man nicht selbst das Gefühl hat, es schade wirklich, warum soll man auf dieses Stimulans verzichten, wenn es nicht nur eine dumme Angewohnheit ist?«
Nein, um das Feld mal von hinten aufzurollen, eine dumme Angewohnheit war das Rauchen für Willy Brandt nicht, denn von dummen Angewohnheiten kann man lassen und lassen, loslassen konnte er nicht. Und dumm, unreflektiert, gab er sich dieser »Leidenschaft« ohnehin nicht hin, sondern er grübelte oft, was es mit ihm und der Zigarette auf sich hatte. Die Zigarette gerät ihm, der im politischen Alltag so oft Verzicht leisten muss, wie er sagt, zur Entschädigungsleistung, ein gestatteter
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