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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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Genuss, legitimierte Triebbefriedigung, wo andere Wünsche gestaut und unbefriedigt bleiben. Mit der Zigarette wird also nicht nur unterdrücktes Leben teilweise kompensiert, sondern auch dem Leben, dem Arbeitsleben auf die Sprünge geholfen, denn die Zigarette ist auch Stimulans, also Antriebsmittel und Zündfunke. Das erste Frühstück des Tages war die Zigarette, und selbst nachts, wenn Brandt aus dem Schlaf aufschreckte, so erinnert es Peter Brandt, so hat es ihm seine Mutter oft erzählt, griff der Vater zur Schachtel neben dem Bett. Die eigentümlichste, die spannungsvollste Passage von Brandts Antwort auf die Frage nach seinem Rauchverhalten findet sich im Mittelteil. Nach dem humorvollen Auftakt – dem Hinweis auf Mark Twain und seine Kunst des Aufhörens – kommt er auf die eigene Raucherbiographie zu sprechen (»ursprünglich Pfeifenraucher«) und dann fügt er hinzu – und es soll immer noch humorvoll klingen – »das kann ich jetzt gar nicht mehr«. Warum kann er es nicht mehr? Verlernt? Wohl kaum, sondern »das Image ist vergeben«. Brandt verschluckt den Namen, den er hier nennen müsste, es ist niemand anders als sein Erzfeindfreund Herbert Wehner, an dem er bekanntlich litt und der das Image als Pfeifenraucher monopolisierte. Der »Onkel« war auf der medialen Bühne der Pfeifenmann, so wie Ludwig Erhard der Zigarrenmann war, Images also, die von Antipoden besetzt waren. Das »kann ich jetzt nicht mehr«, klingt dann ein bisschen so wie »es ist mir jetzt zuwider«. Der andere, dessen Name ich hier nicht nenne, hat mir die Pfeife entwendet. Man muss keineswegs in die tiefenpsychologische Strickwarenabteilung hinabsteigen, um sich zu fragen, warum Brandt zwar den Namen Wehners nicht nennt, aber die kleine Pause, die entsteht, die stockende Rede von zwei auffälligen Worten ummantelt wird, nämlich »Sklave« und »Leidenschaft«. Brandt wurde in der frühen Phase seiner Karriere in der Partei und in der kritischen Öffentlichkeit oft als »Marionette«, als »Schachfigur« oder »Puppe« in den Händen Wehners betrachtet. Und Wehner war schon immer der »Zuchtmeister«, der Peitschenmann, der seine donnernde Rede über die Köpfe und Rücken der Fraktion schickte und jeden Widerspruch zischend fortwischte. Der Historiker Arnulf Baring schreibt in seinem Buch »Machtwechsel« über das Leidensverhältnis Wehner-Brandt: »Brandt litt, wie alle, unter Wehner, wenn er schweigend dasaß, an der Pfeife sog, sich unaufhörlich Notizen machte, seine Umgebung bewußt verunsicherte, ja tyrannisierte. Viele Jahre warb er um Wehners Gunst.«
    Wehner war demnach für Brandt der Mann, der Leiden schafft, seine Leiden. Wenn er also sagt, ich bin kein Sklave dieser Leidenschaft – an dieser Stelle weicht der humorige Tonfall und die Stimme wird metallisch hart –, drückt er damit eigentlich aus: »Ich bin kein Sklave Herbert Wehners«, ich bin kein Pfeifenraucher, weil die Pfeife Wehners Marterinstrument ist. Diese Passage korrespondiert mit einem berühmten Interview, das Günter Gaus in seiner Sendung »Zur Person« im September 1964 mit Brandt führte. Der Interviewer fragt: »Herr Brandt, auf welche Weise haben Sie und Herbert Wehner sich gefunden?« Brandt, der gerade im Begriff ist, nach einer Zigarette zu greifen, die schon auf einem Tischchen bereitliegt, atmet tiefer, eine Last liegt jetzt auf ihm, die Hand, die schon über der Zigarette schwebte, kehrt in den Schoß zurück, stabilisiert den Mann und Brandt beginnt mit niedergeschlagenem, nach innen wanderndem Blick: »Wir sind ...... (lange Pause) ziemlich verschie…« an dieser Stelle kann sich der sonst so disziplinierte Gaus einen Zwischenruf nicht verkneifen: »Das kann man wohl sagen«, Brandt zuckt und vollendet erst dann seinen Satz »…dene Typen«. Erst nachdem er sich an dem Wehner-Antwortkomplex abgearbeitet hat, gestattet er sich die Zigarette, die er fast schon in der Hand hatte.

Das Image war vergeben: Herbert Wehner als Pfeifenraucher. Willy Brandt litt oft stumm an seiner Seite, 1973.
[picture alliance/akg-images]

    Natürlich war Brandt nikotinsüchtig, aber seinen Dialog, seine Partnerschaft, seine Beziehung mit der Zigarette auf diesen physiologischen Aspekt zu reduzieren, hieße doch all die seelischen Valeurs und emotionalen Farben, die in dieser Lebensbindung eine Rolle spielten, auszublenden. Brandts Nachdenken über sein Image als Raucher zeigt doch, dass er um die bedeutsame Bildhaftigkeit dieser Rolle wusste. Nicht

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