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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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soll. Auch andere können einen eigenen Geschmack haben, aber nie einen so intensiven. Die letzte Zigarette hat das Aroma des Gefühls eines Sieges über sich selbst, der Hoffnung auf eine baldige Ära voll Kraft und Gesundheit. Andere Zigaretten besagen, dass man seine eigene Freiheit besitzt, indessen man raucht, und dass gleichwohl jene Ära voll Kraft und Gesundheit weiter in hoffnungsvoller Nähe bleibt, wenn auch auf etwas später verschoben.« Brandt, der bei seiner Abschiedsrede als Parteivorsitzender der SPD »im Zweifel für die Freiheit« plädierte, entschied sich für die Freiheit. Offiziell lebte er die »Ära voll Kraft und Gesundheit«, und inoffiziell rauchte er die Zigaretten, die vor der letzten lagen.
    Als Heinrich Böll dem Tod entgegenging, becircte er noch die Nachtschwestern im Krankenhaus nach allen Regeln der Kunst, bis sie vor seinem verzweifelten Charme kapitulierten und ihm Zigaretten brachten.
    Wo und wann hat Willy Brandt seine letzte Zigarette geraucht? Saß er in seinem Garten? Sah er auf den Rhein? Oder dachte er an all die knisternden Gefährtinnen aus Glut und Asche, die weißen Damen, die ihn begleitet, die ihn behütet hatten? Das Schlupfloch gehört ihm.

Haut
»Nicht alle Abgeordneten reisten im Bundesbahnbett. Andere kamen im Auto zur Hauptstadt gefahren, quittierten das Kilometergeld und standen sich gut dabei; sie waren die schärferen Hechte. Auf der Rheinstraße brausten die schwarzen Mercedeswagen neben dem Wasser stromabwärts. Stromabwärts der Schlick, stromabwärts das Treibholz, stromabwärts Bakterien und Kot und die Laugen der Industrie. Die Herren hockten neben ihrem Fahrer, sie hockten hinter ihrem Fahrer, sie waren eingenickt. Die Familie hatte einen strapaziert. Körperabwärts, unter dem Mantel, der Jacke, dem Hemd, lief der Schweiß. Schweiß der Erschöpfung, Schweiß der Erinnerung, Schweiß des Schlummers, Schweiß des Sterbens, Schweiß der Neugeburt, Schweiß des Wohingefahrenwerdens und wer weiß wohin, Schweiß der nackten, der bloßen Angst.«
Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus.
    Am Kaiserplatz in Bonn, ganz in der Nähe des Hofgartens, lag früher, zwischen den großen Kriegen, eine angesehene Apotheke. Die Regale stiegen hoch bis zur Decke, und ganz oben, in den letzten Schubladen, lagerte das, was nur selten verlangt wurde. Betrat man das Geschäft, schellte ein helles Glöckchen, und der Apotheker löste sich aus dem Halbschatten der hinteren Räume.
    Niemand weiß, wo er geblieben ist. Nach dem letzten Krieg zog 1948 eine Drogerie in die Räume, und die neue Inhaberin, eine geschäftstüchtige, energische Frau, ließ die düsteren Regale an ihrem Platz. Immerhin passten die hellen Schubladengriffe aus Porzellan ganz gut zu den neuen Waren. Wo früher Medizinen aller Art, Tinkturen, Pülverchen und Pillen auf Kundschaft warteten, lagen nun edle Düfte, pflegende Cremes, Duftwässerchen, Rasierutensilien, alle möglichen und unmöglichen Apparate zur Pflege des Körpers, teure, wohlklingende Versprechen auf Anmut und Schönheit. Der Lippenstift trat seinen Siegeszug an, das mobile Schönheitsstübchen, das in jedes Täschchen passte. Die Erfindung der Drehmechanik im Jahr 1948 und die neuen, leichten Umhüllungen machten ihn noch handhabbarer und unkomplizierter, ein Star wie Hildegard Knef warb für den preisgünstigen »Volkslippenstift«.
    Die Drogerie Herold behauptete sich am Kaiserplatz bis 1972, dann brach eine andere Zeit an und das etablierte Einzelhandelsgeschäft wurde von einer großen Parfümerie-Kette übernommen, die dem Laden das handelsübliche Dutzendgesicht verlieh. Aber einstweilen, in den fünfziger und sechziger Jahren, traf sich hier, was in Bonn Rang und Namen hatte, um sich schönmachen zu lassen. Der Kampf um die Schönheit wurde nicht auf die leichte Schulter genommen. Für die Damen gab es – je nach Gusto – zwei separierte Kabinen, die Helena-Rubinstein-Kabine und die Guerlain-Kabine. Eine anderthalbstündige Behandlung kostete jeweils zwölf Mark. Die hübsch anzusehenden Kosmetikerinnen trugen weißgesteifte Kittel mit Stehkragen und baten die Kundinnen mit duftender Freundlichkeit zur Behandlung. Nur mit Termin! Rücken, Dekolleté und Gesicht wurden sanft massiert, die Durchblutung fördernd, dann wurde die Haut aufmerksam studiert und gereinigt. Wärmende Decken schützten dabei die entblößten Hautpartien, die nicht frieren durften. Oh ja, es wurde vieles besprochen, denn die Damen der höheren Gesellschaft,

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