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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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oder psychologische Deutungen hatte sie nichts übrig. Sie wollte sich nicht auf den Grund gehen, für Krankheiten waren die Ärzte da.«

    Willy Brandt hat sich nur schminken lassen, wenn er ein Fernsehstudio betrat. Wenn ich das Thema Haut nun im Hinblick auf Willy Brandt bedenke, fallen mir zuerst die zahlreichen Anekdoten ein, die dem dünnhäutigen Politiker gelten. In Hermann Otto Boleschs Buch »Typisch Brandt. Kanzleranekdoten« findet man unter der Überschrift »Haut« die folgende Beobachtung: »Kurze Verschnaufpause zwischen zwei Wahlkampfveranstaltungen. ›Wissen Sie‹, sagt der Bundeskanzler, ›in der Politik muss man ein dickes Fell haben.‹ ›Sie haben aber keines‹, wirft jemand aus der Runde ein. ›Ich versuche aber immer, die dünne Haut zu kaschieren‹, sagt Willy Brandt.«
    In Heli Ihlefelds Sammlung »Anekdoten um Willy Brandt« liest man unter der gleichen Überschrift die folgende Episode: »›Ist es richtig, dass Sie nicht nur ein äußerst empfindsamer, sondern auch ein empfindlicher Mensch sind?‹ Auf diese Frage, von der Berliner Morgenpost gestellt, antwortete Brandt: ›Man kann schlecht über sich selbst urteilen. Ich bin jedenfalls kein Rhinozeros.‹«
    Was unternimmt ein Mann gegen seine dünne Haut? Die Frau des Politikers lässt sich zu einem Gemälde verwandeln, ihr Make-up hat auch die Funktion einer raffinierten Camouflage, die das Ich unauffällig befestigt und absperrt gegen allzu forschende Innenwelterkundung. Doch diese Art des Make-ups ist dem Mann versperrt.
    Die Frau schminkt sich für den Tag, der Mann schminkt sich für die halbe Ewigkeit und die Geschichte. Und wer sind dann seine Make-up-Artisten? Fotografen können eine Persönlichkeit verbergen, sie können schmeicheln, sie können schminken, aber letztendlich suchen sie alle das große, bedeutende Bild. Bedeutsam kann aber auch und gerade eine Fotografie sein, die den Porträtierten demaskiert, einen unbekannten Wesenszug enthüllt und den inneren Menschen nach außen trägt. Politiker stehen Fotografen daher in zwiespältiger Weise gegenüber: Sie brauchen sie, weil diese ihre Person öffentlich machen, sie popularisieren und überhaupt erst wirkmächtige Bilder ihrer Auftritte schaffen. Andererseits fürchtet der Politiker den Fotografen als Entblößungsjäger und Demontagespezialisten, dem jedes Mittel recht ist, in die Festung Mensch einzudringen, um einen Riss zwischen Person und Image, Politik und Handeln aufzuzeigen, der die Wahrhaftigkeit des Politikers in Frage stellt oder beschädigt. Politiker sind, schon von Berufs wegen, eitle Menschen, die auch ihr Bild regieren wollen, sofern sie es können. Brandt war ein geduldiger Komplize dieses archivierenden Auges, sofern er dem Fotografen vertraute. Dieser würde ihn, seine Arbeit und seinen wesenhaften Dialog mit dem Bürger dokumentieren, und um nichts weniger ging es einem geschichtsbewussten Politiker wie Brandt: Er wollte geborgen werden für die Landschaft jenseits der Erinnerung, über den Tag, das Jahr und sein Leben hinaus überliefert und dem kollektiven Gedächtnis anheimgegeben werden. So fertigen die Fotografen eine zweite Haut, die sich aus allen Häuten zusammensetzt, die der Mann zu Markte trägt, denn das ist Politik seit jeher, die eigene Haut auf den Marktplatz tragen, der Agora (ἀγορέ), wo sie, die Haut, die Derma (δέρμα), auf das Volk, den Demos (δῆμος), trifft und von diesem mit Bedeutung beschrieben wird. Die Fotografen sind also Dermatologen, Hautkundige, ganz eigener, anderer Art. Sie heilen nicht, sie heben.
    Ein sensibler fotografischer Dermatologe ist auf jeden Fall Konrad R. Müller, der von Konrad Adenauer an alle deutschen Kanzler fotografiert hat und dabei stets von der Haut als Bedeutungsfläche und Gefühlslandschaft fasziniert war. Konrad R. Müller hat Willy Brandt intensiv begleitet, er war bei den Wahlkämpfen im Sonderzug an seiner Seite, er hat ihn in seinem Büro in der Baracke besucht, und er hat ihn in Norwegen auf der Hütte beobachtet: »Ich habe in seiner Haut regelrecht gebadet, ich kannte jeden Quadratzentimeter, ja, ich kannte sein Gesicht sehr viel besser als mein eigenes. Ich habe Willy Brandt von 1969 bis 1991 fotografiert, immer nur Gesicht und Hände, immer schwarzweiß. Seine Emotionen konnte er nicht vertuschen, man kann den Mann wirklich lesen, wenn man meine Porträts betrachtet.«
    »Hat er versucht, die Aufnahmen zu kontrollieren?«
    »Nein, gar nicht, er hat mir

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