Die Familie Willy Brandt (German Edition)
durchdrungen fühlen, entlarvt oder erkannt, das muss jeder selbst für sich entscheiden.
Renate Messler hat Rut Brandt 1970 kennengelernt, Gerda Landerer, die viel mehr war als Willy Brandts Chefsekretärin im Kanzleramt, war bereits bei Herold Renate Messlers Kundin und empfahl Rut Brandt an sie. Gerda Landerer, dieser Frau im Hintergrund, verdanken Willy Brandt, aber auch seine Familie viel. Die alleinstehende Sekretärin organisierte für den eher alltagsuntauglichen und unpraktischen Brandt nahezu das gesamte Leben, sie regelte seinen Alltag weit über den politischen Bezirk hinaus. Sie stellte die Kontakte zu den Söhnen her, sie war ein Bindeglied der Familie. Sie war eine jener Bürodienerinnen, die rund um die Uhr zur Stelle waren. Für Familie oder einen Mann blieb da kein Platz. Und schließlich – als Rut und Willy Brandt sich scheiden ließen und Rut nach Kopenhagen zog – übernahm Gerda Landerer den berühmten Familienhund Bastian und pflegte ihn treu bis an sein Lebensende.
Rut Brandt besuchte also auf Empfehlung von Brandts Chefsekretärin Renate Messler und blieb ihr bis zu ihrem Tode verbunden. Als sie 2005, ein Jahr vor ihrem Tod, noch einmal Bonn besucht und sich von den wichtigen Menschen ihres Lebens verabschiedet, kehrt sie auch bei ihrer langjährigen Weggefährtin ein. Der Strauß Rosen, den sie ihr damals mitbrachte, liegt immer noch oben auf dem Biedermeierschrank in der Praxis in der Münsterstraße. Hierher kam Rut Brandt einmal in der Woche und ließ sich behandeln. Dabei blieb sie sehr viel länger als andere Kundinnen. Ihre Haut und ihr Hautbild waren von großer Bedeutung für ihr öffentliches Auftreten, für ihr Selbstbewusstsein.
»Rut Brandt war meine einzige Kundin, die einen so hohen Wert auf das Make-up gelegt hat. Sie verließ das Haus nicht ohne Make-up. Wenn sie nach draußen ging, musste alles perfekt sein. Ich denke, das war so eine Art Rüstung für sie, und sie hat viel mit dieser Äußerlichkeit verdeckt. Sie hatte ja eher einen kleinen Kopf, und daher hat sie großen Wert auf ihre Frisur gelegt, mit der sie das ausglich. So wirkte der Kopf größer, und auch das war wohl eine Art Schutzfunktion. Am Pflegeaspekt, an dem natürlichen Erhalt der Haut war sie kaum interessiert, obwohl ich oft versucht habe, ihr das nahezubringen. Für sie war das Gemälde wichtig.«
Unser Gespräch dauert mehrere Stunden. Renate Messler erzählt von der anderen Zeit, die sie in Bonn erlebt hat. Die Hierarchien im Geschäftsleben waren noch starr, streng, alles war sehr autoritär. Die Chefs waren Paschas, jedes Büro ein kleines Feudalreich, an dessen Spitze der Mann stand. Der Krieg war noch nicht so fern, im Stadtbild konnte man noch seine Spuren lesen, an Gebäuden oder beim Anblick kriegsversehrter Menschen. Die Ideologen des »Dritten Reiches« waren kosmetikfeindlich gewesen, »eine deutsche Frau reinigt sich nur mit Wasser und Kernseife«, Lippenstift und Rouge waren verpönt, damit war es nun vorbei. Parfüms und Seifen waren populäre, aber auch noch teure Güter, wer es sich leisten konnte, leistete sich eine kostspielige zweite Haut aus Duft, Farbe, Pflege. Die uniformierten Ladenketten regierten noch nicht die Innenstadt, stattdessen stillte eine Vielzahl von gehobenen Einzelhandelsgeschäften die Bedürfnisse der Bonner Machtkaste aus Politik und Wirtschaft. Bei Herold einzukaufen, gehörte in dieser Gesellschaft zum guten Ton.
»Wie würden Sie Rut Brandt als Person, als Persönlichkeit beschreiben? Wie wirkte sie auf andere?«
»Sie war eher großgewachsen, besaß eine wunderbare Figur und war sehr mädchenhaft. Ich sagte vorhin, sie hat nicht so einen großen Wert auf die natürliche Pflege, sondern eher auf die Verschönerung der Haut gelegt. Sie war aber diszipliniert, sie trank nicht viel und rauchte wenig, sie neigte überhaupt nicht zu Übertreibungen und aß auch nicht sehr viel, sie achtete sehr auf ihre Linie. Sie war ein sehr gepflegter Mensch. Ich fühlte mich für sie verantwortlich, fühlte mich ihr verpflichtet, weil sie Menschen suchte, die sich in dieser Weise um sie kümmerten. Sie hatte ein sicheres Gespür für Menschen, die sich ihrer annahmen. Sie war als Persönlichkeit gerne unernst, sie wollte fröhlich sein. Ihre Bewegungen waren fließend, leicht, sie war wie ein Schmetterling, so wollte sie durchs Leben flattern. Dabei wurde sie von schlimmen Kopf- und Magenschmerzen und auch von Polypen gequält, aber für psychosomatische Erklärungen
Weitere Kostenlose Bücher