Die Familie Willy Brandt (German Edition)
deren Männer in den Ministerien Dienst taten, an der Universität lehrten, in der Universitätsklinik in weiße Kittel schlüpften oder in den Banken diskret das Geld mehrten, bekamen viel zu hören. Die wichtigen Herren betraten die Drogerie viel seltener, aber auch sie kamen, wenn Geburtstage gefeiert wurden oder das Weihnachtsfest vor der Tür stand. Die großen Chefs kamen und kauften für ihre kleinen Sekretärinnen große Flakons mit erlesenen Düften, weil sie wussten, was sie den meist unverheirateten Schreibmaschinenfräuleins verdankten, obwohl sie es meistens vergaßen. Aber ein- oder zweimal im Jahr ist ein schlechtes Gewissen ein spendabler Kunde. Die Fraktionsvorsitzenden kamen, ja, auch die Minister, und die Direktoren, alle wussten, was sie ihren Frauen schuldeten. Herbert Wehner ließ es sich nie nehmen, die Kosmetika für seine Frauen selbst auszusuchen, dabei lief er, in Gedanken an seine Frau, seine Stieftochter und seine Sekretärinnen, zu Liebenswürdigkeit in Hochform auf. Aber auch die Herren wurden hier fündig. In edlen Kartonagen ruhten eingeschlagen in Taft und Samt große Flaschen Eau de Toilette oder Eau de Cologne, als ob es sich um Schmuck handelte. Und in den Schubladen ruhten teure Seifen, die es nicht eilig hatten, weil sie schon jahrelang abgelagert worden waren, damit das Parfüm durch den ganzen Seifenkörper dringen konnte.
Ich frage Matthias Brandt, was ihm zum Thema Haut einfällt, was er, in Hinblick auf die Familie Brandt, damit verbindet, ob er selbst eine Hautgeschichte hat. Er überlegt und antwortet mit der ihm eigenen hin- und herwandernden, bohrenden Bedachtsamkeit: »Wenn uns die Firma Gore-Tex erklären will, warum ihre Jacken so ausgezeichnete Produkte sind, dann zeigen sie uns diese graphischen Bilder, mit denen uns demonstriert wird, dass nichts von außen eindringen, aber alles von innen raus kann. Das ist meine erste Assoziation zu dem Thema. Für Leute, die so eine Konstitution haben wie wir – ich traue mich jetzt mal in diesem Zusammenhang für uns alle, für die Familie zu sprechen –, spielt der Schutz dessen, was in uns ist, aus den unterschiedlichsten Gründen, eine unglaubliche Rolle. Nicht in dem Sinne, dass wir uns abschotten, sondern, dass wir uns schützen müssen. Es gibt zweifelsohne eine große Empfindlichkeit, Anfechtbarkeit, und jeder von uns musste seine Methoden und Mechanismen entwickeln, um damit zurechtzukommen und im Leben zu bestehen. Insofern ist es für die Frage nach der Haut interessant, dass ich die Haut zunächst als Schutzorgan verstehe und sie erst dann als sensitives Organ beschreiben würde. Die Haut dient, aus meiner Sicht, also nicht in erster Linie der Kontaktaufnahme, sondern sie ist ein Schutzorgan, um nicht angefasst zu werden, von Dingen, von denen ich nicht angefasst werden möchte. Wenn dieser Schutz einigermaßen funktioniert, erst dann wird sie auch ein sensitives Organ. Sie kann nur ein sensitives Organ sein, wenn sie zunächst ihre Schutzfunktion wahrnimmt und leistet. Die Haut ist und war für uns alle ein großes Thema, sicher nicht exklusiv, denn viele Menschen beschäftigen sich auf diese Weise mit ihrer Haut. Aber die Aufmerksamkeit für die Haut ist bestimmt eine große Gemeinsamkeit, wenn man diesen Mikrokosmos ›Familie Brandt‹ betrachtet und man bei aller Verschiedenheit nach Gemeinsamkeiten sucht.«
Auf die Frage, ob die Haut für die Familie Brandt ein verbindendes Thema sein könnte, das sie – trotz aller Unterschiede – dennoch eint, bin ich durch eine Begegnung mit Renate Messler gestoßen, die in den sechziger Jahren in der Drogerie Herold als gelernte Kosmetikerin gearbeitet hat. Als sie in den siebziger Jahren – inzwischen hatte sie sich selbständig gemacht – die Damen der Bonner Gesellschaft zu ihren Kundinnen zählte, es waren viele Politikergattinnen darunter, ist sie oft bedrängt worden, ihr intimes Wissen preiszugeben, denn zwischen ihr und ihren Kundinnen bildete sich über Jahre, ja Jahrzehnte ein besonderes Vertrauensverhältnis. Dass sie gegen solche Vertrauensbrüche immer gefeit war, versteht man schnell, wenn man ihr begegnet. Sie ist eine eigenwillige, eigendenkende Frau, die beruflich früh auf eigenen Beinen stand und die von ihren Kundinnen gerade wegen ihrer völligen Unabhängigkeit geschätzt und gesucht wurde, bis heute. Sie hat nichts Liebesdienerisches an sich, und von ihrem Blick aus wirklich leuchtend grün-grauen Augen darf und wird man sich
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