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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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vertraut. Da unterschied er sich auch deutlich von Helmut Kohl, der mich erst mal examiniert hat und der bei einem Fotoband auch mitbestimmen wollte, was hineinkommt und was nicht. Das wäre Willy Brandt nie eingefallen, er verließ sich darauf, dass man sein Handwerk beherrschte. Das letzte Mal habe ich ihn 1991 fotografiert, da war er bereits entrückt und von Krankheit gezeichnet. Er sah einfach durch mich und die Kamera hindurch.«

    Nach dem Gespräch mit Konrad R. Müller werde ich mich wie ein gerolltes Tabakblatt fühlen. Unser Gespräch findet in der Zigarrenbar des Berliner Savoy-Hotels statt, wo die Gäste in schweren Ledersesseln versinken, wo es einen begehbaren Humidor gibt und wo der Fotograf immer einkehrt, wenn er, der gebürtige Berliner, zu Besuch in seiner alten Heimat ist. »Sein Händedruck«, sagt er, »war seltsam leblos.« Dass Willy Brandt einen oftmals desinteressierten Händedruck besaß, dass er sein Gegenüber trotz des Händedrucks unberührt ließ, ja, mit der nur halb hingereichten und kaum zudrückenden Hand auch kühle Reserve oder gar Ablehnung signalisierte, ist mir von vielen Menschen, die ihn trafen, berichtet worden. »Geben Sie mir mal die Hand, sehen Sie? So hat er einem die Hand gegeben«, diesen Satz habe ich nicht selten gehört, begleitet von einer Demonstration eines schlaffen Händedrucks. Doch lässt sich daraus eine grundlegende taktile Wahrnehmungsschwäche schließen? Politiker sind so oft zum Händeschütteln verurteilt, dass sie mit ihren Kräften haushalten müssen.
    Ein erstaunliches Dokument taktiler Sensibilität und eines sehr genau differenzierenden Hautbegegnungsvermögens liefert die Fernsehdokumentation »Eine Woche mit Willy Brandt« (ZDF) von Ruprecht Eser und Horst Schättle aus dem Jahr 1981. Die Journalisten begleiten Brandt am 21. Mai 1981 nach Paris, wo François Mitterrand nach seinem Wahlsieg in sein Amt als französischer Staatspräsident eingeführt wird. Es ist eine machtvoll-festliche Demonstration nationaler Stärke und zugleich die triumphale Inauguration eines sozialistischen Sonnengottes. Vor dem Arc de Triomphe trifft Brandt auf eine Reihe von sozialistischen Freunden aus ganz Europa, Gefährten und Bekannten. Der deutsche Gast schreitet ihre Reihe ab, als sei er der Mann des Tages, und er lässt jedem eine ganz eigene Begrüßung zuteil werden, vielfach in den haptischen und emotionalen Intensitäten abgestuft. Da wird einer kräftig an den Oberarmen gefasst und gerüttelt, herzlich und doch auf Distanz bleibend. Es gibt den einfachen Händedruck und es gibt den Händedruck mit Handdach, bei dem sich die linke Hand wie ein Dach auf die verschlungenen rechten Hände legt. Dem griechischen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou wird betont freundlich und offenen Gesichts die Hand geschüttelt (mit Handdach), es folgt ein weniger prominenter Mann, dem wird freundlich, gleichwohl förmlich die Hand gedrückt (ohne Handdach), jetzt ist Mário Soares, der portugiesische Premierminister, an der Reihe, er wird gedrückt, umarmt, die Wangen werden innig aneinandergeschmiegt, dann folgt eine Frau, die wird freundschaftlich, gleichwohl routiniert auf die rechte Wange geküsst, und dass Brandt auch anders kann, zeigt sich bei der Begrüßung von Melina Mercouri, der griechischen Sängerin und Politikerin, die wird mit einem doppelten Wangenkuss bedacht, wobei der zweite Kuss auf die linke Wange kaum anders als zärtlich zu nennen ist, Brandt küsst sie mit gespitztem Kussmund betont ausdrucksvoll und regelrecht bedachtsam, da schwingt unübersehbar eine genießerische Komponente mit, schließlich kommen eine Reihe von alten Kameraden und Militärs an die Reihe, die nur so obenhin gestreift werden, nicht kühl, aber die dringen kaum durch zur Wahrnehmungshaut. Schließlich, etwas später, trifft er auf die beiden Söhne von François Mitterrand, Gilbert und Jean-Christophe, die ebenfalls sehr unterschiedlich begrüßt werden. Den jüngeren Gilbert greift er mit beiden Händen von hinten um den Kopf, eine sehr zärtliche, sehr väterlich-großväterliche Szene, zieht ihn so an sich und schenkt ihm einen wirklich tief-kostbaren, den Augenblick festhaltenden Blick, der eigene Sohn könnte kaum liebevoller und aufmerksamer bedacht werden, dem älteren Jean-Christophe hingegen reicht er die Hand freundlich, aber doch zurückhaltender. Brandt besaß also durchaus ein taktiles Begegnungs- und Wahrnehmungsvermögen, das er hier, im

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