Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Altbundeskanzler natürlich nicht a.D. ist, sondern immer im Dienst, und wenn jemand von außen oder von oben auf unser Land blickt, könnte er vermutlich zu dem Eindruck gelangen, der amtierende Bundeskanzler heiße Helmut Schmidt und nicht Angela Merkel, die da still und leise in ihrer flüsternden Beton-Waschmaschine sitzt und einen irgendwie unsichtbaren Eindruck macht. Ich gebe unumwunden zu, dass mir das Gespräch mit Helmut Schmidt mehr Respekt einflößt als jedes andere Interview, das ich für dieses Buch geführt habe, denn natürlich hat man eine Menge über den Mann gelesen und gehört, den ehemaligen Wehrmachtsoffizier, der seine Referenten im Kanzleramt so klein brüllte, bis sie klitzeklein waren wie graue zitternde Mäuse, und wer hätte da nicht Mitleid mit den Mäusen? Der Kanzler Schmidt, der in Kabinettssitzungen verächtlich knurrte: »Schickt die Domestiken raus!«, und jene beamteten Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes meinte, die die »Geheimsachen« nicht mithören sollten. Seinen Spitznamen »Schmidt-Schnauze« hatte sich der Hamburger ja auch deshalb erworben, weil ihm eine aggressive Intelligenz zu eigen ist, die den Gegner mit hartem rhetorischen Punch auf die Bretter schickt und den Mitarbeitern mit bohrender Schärfe auf den Zahn fühlte. So fühlte ich mich an diesem Montag wie ein Schüler auf dem Weg zum Abitur beim lieben Gott.
Ich stocherte also in Büchern, die ich alle längst gelesen habe, die ich aber noch mal abgraste auf der Suche nach Halt und guten Fragen. Da war Gunter Hofmanns »Willy Brandt und Helmut Schmidt. Geschichte einer schwierigen Freundschaft«. Das ist ein schönes, ein kluges Buch, ein Buch zumal, das erstmals den Briefwechsel zwischen Brandt und Schmidt systematisch auswertet. Aber kann man von einer schwierigen Freundschaft sprechen, wo zumindest der eine, Brandt, den anderen nie als Freund anerkannt hat und der andere, Schmidt, zwar anfänglich um die Freundschaft Brandts geworben, dann aber bitter enttäuscht war von ihm? Kann man von einer Freundschaft sprechen, wo zwei Männer so weit entfernt sind voneinander, Lichtjahre wie es scheint, in Stil und Ton, in Haltung und Habitus, in Sprache und Selbstbild, in Absicht und Ziel? Sicher, Gunter Hofmann differenziert den Begriff der »schwierigen Freundschaft«, er zeigt die Partner und Antipoden im Lauf der Jahrzehnte, beschreibt Höhen und Tiefen, Verletzungen und Annäherungen, gleichwohl will mir der Begriff »Freundschaft« zwischen diesen beiden nur auf der großen gut ausgeleuchteten Bühne der Staatsmänner einleuchten, da, wo sie sich selbst als Figuren in der Geschichte betrachteten und fanden, man ginge besser nicht entzweit und zerstritten in die Historie ein. Kurz bevor Willy Brandt starb, hat Helmut Schmidt ihn noch einmal besucht. In seinem Buch »Weggefährten« schreibt Schmidt, sie seien voneinander als Freunde geschieden. Doch kann man, wie Schmidt meint, das »persönliche Verhältnis« von den »sachlich-politischen Kontroversen« strikt trennen? Auch Gunter Hofmann rettet den Begriff der »schwierigen Freundschaft« schließlich dadurch, dass er Brandt und Schmidt in die Geschichte entrückt und sie als komplementäre Figuren begreift, die jeder dem Land etwas zu geben hatten, was im historischen Augenblick das Richtige war und was sich im Rückblick vortrefflich ergänze. Erst wenn man sie zusammen sehe, ihre Leistungen aufeinander beziehe, würde die prägende Signatur der sozial-liberalen Ära deutlich. Der Entspannungspolitiker und der Ökonom, der Reformer und der Manager, der Visionär und der Realist, der Gefühlspolitiker und der Rationalist, der Zögernde und der Zupackende, der Moderator und der Chef, sie ergänzten sich, ihre Talente gehörten zusammen, und dieses Zusammen wog letztendlich schwerer als die persönlichen Differenzen und menschlichen Distanzen.
Was ich nicht in Gunter Hofmanns Buch gefunden habe, ist der Witz, den Willy Brandt über seinen Freundfeindpartnerweggefährten Schmidt gerissen hat. In Brandts Witze-Sammlung »Lachen hilft«, die erst nach seinem Tod erschien, aber von ihm eigenhändig zusammengestellt worden war, findet sich Folgender: »Der Papst, Jimmy Carter, ein Hippie und Helmut Schmidt fliegen gemeinsam über den Atlantik. Das Flugzeug gerät in Turbulenzen, und der Pilot spricht von Absprung. Es stellt sich heraus, dass nur vier Fallschirme an Bord sind. Der Pilot sagt, seine Fluggesellschaft könne ihn nicht entbehren und springt. Carter
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