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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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wird mitunter übersehen, vielleicht auch von mir, dass die Söhne es nicht nur mit einer »Lichtgestalt« zu tun hatten, sondern dass auch die Mutter eine strahlende Figur war.
    Rut Brandt hatte sich als Erste an der Seite ihres Mannes zu behaupten. Um ihr Selbst zu schützen, lässt sie sich in ein Gemälde verwandeln. Ihr Make-up soll das Innenleben vor dem öffentlichen Blick schützen, es soll aber auch ihre Wesensart, ihre unkomplizierte Fröhlichkeit, unterstreichen. Ihr Make-up soll nur jene inneren Aspekte zur Geltung bringen, die sie mag. An der Seite eines Mannes, der sich in der Öffentlichkeit vielerlei Angriffen ausgesetzt sah und der sie selbst angriff, indem er sie zeitweilig verließ und sich an fremden Häuten wärmte, musste es eine enorme Kraftanstrengung bedeuten, dieses Selbstbild aufrechtzuerhalten. Es war nicht zuletzt sie, die viele kommunikative Defizite ihres Mannes ausglich und seine Gesellschaft für andere erst erträglich machte, indem sie sein autistisches In-sich-Versinken durch die eigene forcierte Begegnungsfreude aufwog. Eine solche Rolle bedeutet auch Verzicht und Selbstverlust. Man wird kaum einen Menschen finden, der Rut Brandt nicht mag, und ich habe wirklich viele Menschen nach ihr gefragt. Ich habe keinen Anlass, das Bild der fröhlichen, herzlichen, anderen bedingungslos zugewandten Frau in Frage zu stellen, aber ich frage mich, welchen Preis es gekostet hat, Tag für Tag dieser Mensch sein zu wollen, als den man sich selbst gerne sah. Wie viel eigene und fremde Idealisierung mag da stecken, und geriet die Mutter dadurch nicht auch zu einer überlebensgroßen Figur auf der Bühne der Bundesrepublik? Gerade ihre Liebenswürdigkeit, die medial verstärkt und vervielfacht wurde, kann ein eigenes Gewicht entwickeln. Trauer und Schmerz, Scham und Schuld, Zweifel und Angst, all das sollte nicht zu diesem Gemälde gehören. In ihrem Buch »Freundesland« schreibt Rut Brandt: »Wie das kleine Mädchen vor dem Spiegel konnte ich mir sagen: ›Ich bin ich, bin ich!‹ Es hat mir über vieles hinweggeholfen, dass ich immer dieselbe war: ich selbst.« So liest sich ihre Autobiographie auch nur zum Teil als Selbstbeschreibung, es ist ebenso gut ein Bericht über Selbstvermeidung, denn der Kampf um das eigene Selbst wird nur dezent angedeutet, stattdessen behauptet sie trotzig, sie sei sie selbst, nur sie selbst. In diesem Sinne ist »Freundesland« auch eine Haut über der Haut, ein autobiographisches Make-up, das andere Gesichter abdeckt.
    »Mir ist«, sagt Renate Messler, »zu Ihrem Kapitel über die Haut noch etwas eingefallen, was vielleicht ganz gut dazu passt. Rut Brandt trug in den sechziger und siebziger Jahren oft Handschuhe. Und ich habe sie eines Tages gefragt, warum, denn es erschien mir ungewöhnlich. Ich werde nicht vergessen, was sie mir antwortete. Sie sagte: ›Man weiß ja in diesen Zeiten nicht, wem man die Hand gibt und was diese Leute in diesen Zeiten gemacht haben.‹«
    »Sie meinte im ›Dritten Reich‹?«
    »Ja!«
    »Sie wollte keinen alten Nazis die Hand geben?«
    »Das war ihr sehr unangenehm!«
    Völlig unverzichtbar war für Rut Brandt ihr Lippenstift. In ihren letzten Lebensjahren war stets eine Krankenschwester an ihrer Seite, weil sie unter fortschreitender Altersdemenz litt. Sie vergaß vieles, nicht aber ihren Lippenstift, ohne den verließ sie nicht das Haus. Sie demonstrierte ihrer fürsorglichen Begleiterin, wie man – Eins-zwei-drei – ein ausgehbereites Gesicht fabrizierte. Ein Stups Lippenstift auf Kinn, Nase, Wange und die Stirn. So, ein bisschen verreiben, und schon sieht man aus wie das blühende Leben, auch wenn es schwerfällt.
    Nachdem Rut Brandt gestorben war, steckte ihr ihre Begleiterin Kristiane Arlt einen Lippenstift zu. Eine fürsorgliche Geste, denn man weiß nie, was kommt, wenn man das Haus verlässt.

Schmidt!!!
»Na, gucken Sie sich ihn doch an. Würden Sie denken, dass er einer ist, mit dem man ständig über Befindlichkeiten redet? Nee, innere Befindlichkeiten, das war nicht so angesagt. Wir sind ohnehin keine Familie, die ewig Nabelschau macht oder ständig Emotionen zeigt, linksrum und rechtsrum und so. Es wird einfach gemacht und nicht endlos geredet.«
Susanne Schmidt, im »Stern«, 2008
    Ich packe meine Bücher aus. Ich sitze im Speisewagen auf der Fahrt nach Hamburg, wo ich Altbundeskanzler Helmut Schmidt interviewen will. Doch in diesem Fall war die Gewissenhaftigkeit vielleicht noch ein bisschen größer, weil der

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