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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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ja, er regiert die Zigarette, sie ist ihm völlig untertan, er macht aus ihr ein Requisit der kalten Überlegenheit und lockeren Lässigkeit. Ich bin cool – das ist die Botschaft. Jetzt ist Zeit für diese Rückblende, denn Schmidt greift zu einer Zigarette, die er in einer Schatulle aufbewahrt, die auf dem Deckel das Schloss Bellevue zeigt. Da liegen sie, ganz in Weiß und zart, Reyno in Reih und Glied.
    »Sie müssen Ihre eigenen Zigaretten rauchen!«
    »Sie gehen davon aus, dass ich rauche?«
    »Ja!«
    Offenbar greifen in diesem Zimmer alle Journalisten zum Glimmstängel. Um mit der Ikone Schmidt geraucht zu haben? Aus Opportunismus? Um den Enkeln davon erzählen zu können? Ich bin Nichtraucher, habe aber tatsächlich vier Zigaretten mitgebracht. Er benutzt jetzt Streichhölzer, bei Günter Gaus war es ein Feuerzeug.
    Günter Gaus: »Lassen Sie mich einen Vergleich ziehen. Der Vorsitzende der SPD Willy Brandt ist in seinen Wahlkämpfen als Kanzlerkandidat häufig persönlich verunglimpft worden, und Brandt wurde dadurch offensichtlich tief verletzt. Wie weit sind Sie nun, Herr Schmidt, im Gegensatz zu Brandt bei politischen Auseinandersetzungen von Gefühlen frei?«
    An dieser Stelle verstreicht viel Zeit. Eine unvorstellbar lange Pause, die im heutigen Fernsehen kaum vorstellbar ist, aber im damaligen schwarzweißen Gemälde äußerst spannungsvoll wirkt. Matthias Brandt, der die entsprechende Stelle auch gesehen hat, war beeindruckt von Schmidts gestalterischen Fähigkeiten, die Szene erinnert ihn an Don Draper in Mad Men ! Exakt! Schmidt zieht eine Zigarette hervor, betrachtet sie prüfend, rückt sie im Mund zurecht, schnaubt einmal (ob zustimmend oder missmutig bleibt unklar) lässt zwei Mal das Feuerzeug zippen, inhaliert den ersten Zug tief und bequemt sich erst nach diesem großen Schauspiel konzentrierten Zuhörens und Nachdenkens zu antworten. Dann aber kommt es wie aus der Pistole geschossen, schnell, geradeaus, ein Punch.
    Helmut Schmidt: »Von Gefühlen frei bin ich sicherlich nicht, aber dass ich verletzt würde? … Das kann ich auch nicht sagen. Das gehört in gewisser Weise ja zu dem Beruf des Politikers dazu, dass er im Lauf der Zeit, wenn es ihm nicht von der Natur aus mitgegeben ist, sich selber dazu erzieht, nicht allzu verletzt zu sein, ich meine …«
    Günter Gaus: »Das ist nicht in Zweifel gezogen, mich interessiert hier die Frage, wie wäre Helmut Schmidt zu verletzen? Gibt es etwas, was Helmut Schmidt verwunden würde?«
    Helmut Schmidt: »Wenn ich an Brandts Stelle gewesen wäre, mit demselben Lebensweg wie er, möchte ich glauben, das hätte mich auch verletzt. Ich hätte mich allerdings auch resolut zur Wehr gesetzt. Willy Brandt hat gemeint, darüber hinweggehen zu sollen mit einer gewissen Großzügigkeit, ich hätte wahrscheinlich anders reagiert.«
    Günter Gaus: »Wie hätten Sie reagiert?«
    Helmut Schmidt: »Scharf …« (Schmidt spricht das Wort so aus, wie es klingt)
    Günter Gaus: »Sie hätten geklagt?«
    Helmut Schmidt: »Geklagt? (Schmidt lächelt geringschätzig) Nein, in offener Feldschlacht hätte ich mich auseinandergesetzt mit diesen Leuten.«
    Helmut Schmidt ist ein Politiker gewesen, das wird an dieser Stelle und auch im Vergleich mit Willy Brandt bei Günter Gaus deutlich, der mit sich selbst im vollen Einklang war, dessen Ich keine Kriege gegen sich selbst führte. Durch diesen Mann ging kein Riss, und die Erzählung von sich selbst, sein Selbstbild – er war der anständige Deutsche, der im »Dritten Reich« hatte leben und für »Adolf Nazi« gegen seinen Willen pflichtgefesselt kämpfen müssen – deckte sich mit dem Selbstbild vieler Deutscher. Er war viel zu dynamisch, um an sich selbst zu zweifeln, er war viel zu autoritär, um Diskussionen ausufern zu lassen, er war zu intelligent, um Komplexe zu entwickeln, er war zu zukunftsorientiert, um zu sehr nach hinten zu schauen, er war seelisch viel zu gesund, um melancholisch zu werden, er war der richtige Mann als Kanzler und Staatsmann. Weil er sich selbst beherrschte, weil er seine Talente kannte, weil sein Wille eisern war, konnte er, fand er, ebenso gut einen Staat lenken. »Selbstgefühl als Staatskunst« hat das Hans Ulrich Kempski einmal trefflich genannt. Welches Selbstgefühl hat dann Brandt zur Staatskunst erhoben?

    Meine Zigarette hat ihren Geist aufgegeben. Ich habe vergessen zu ziehen. Ich frage Helmut Schmidt, ob Willy Brandt ihm gegenüber einmal seine Tochter Ninja erwähnt

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