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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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doch! Und ich saß.«
    Wir wünschen einander guten Erfolg.
    »Es geht los!«, ruft Frau Bazzato, seine Assistentin, dem Begleitkommando zu, Herr Schmidt begleitet mich zur Tür.
    »Auf Wiedersehen!«
    Er ist schon woanders. Hält sich fest am Rollator und ist schon unterwegs. Schwebt in Zeitlupe hinaus.

    Ich fahre nach unten. Laufe ein Stück durch die Stadt und lande auf der Willy-Brandt-Straße. Es ist ein sonniger Tag. Vor dem Pressehaus liegt ein kleiner Park. Ich setze mich auf einen großen Stein, zünde mir eine Zigarette an und versuche, das Gespräch zu rekapitulieren. Mein Thema ist die Familie Brandt, zu der Helmut Schmidt als »schwieriger Freund« gehört haben mag. Nein, über ihre Familien haben sie nicht gesprochen, mal machte der eine eine Bemerkung, mal der andere, beiläufig. Keine weiteren Nachfragen. Ob Brandt ihn jemals gefragt habe, wie es als Wehrmachtssoldat gewesen sei, und ob er umgekehrt Brandt nach seinem Leben im Exil gefragt habe? Nein, sagte Schmidt, er habe genügend »Rückkehrer« kennengelernt, da brauchte er Brandt nicht zu fragen. Und nein, Brandt habe ihn auch nie gefragt, wie es an der Front gewesen sei. Brandt habe davon nur einmal gehört, als er Breschnew bei dessen Staatsbesuch in Bonn 1972 von seiner Zeit als Offizier an der Ostfront erzählt habe. Nein, das war die Botschaft an den sowjetischen Soldaten Breschnew und an den Exilanten Brandt, der gemeine, kleine deutsche Soldat sei kein Verbrecher gewesen. Brandt habe zugehört und ihm mit einem Zwinkern zu verstehen gegeben, er solle ruhig reden, sich Zeit nehmen. Nein, sonst sei das Thema nie zur Sprache gekommen. Ob er sich an den Brief erinnere, den er Brandt am 11. Oktober 1965 geschrieben habe, jenen Brief, in dem er dem gerade erneut gescheiterten Kanzlerkandidaten Brandt seine Freundschaft angetragen und ob es ihn nicht enttäuscht habe, dass der Umworbene aus- und zurückwich, das Angebot ausschlug? Nein, entgegnet Schmidt, daran könne er sich nicht mehr wirklich erinnern, das ist doch 50 oder 60 Jahre her (recht hat er), und schließlich sei doch Wichtigeres geschehen, er und Herbert Wehner hätten die große Koalition auf die Beine gestellt, das sei wichtig! Natürlich, er hat recht, seine freundschaftlichen Gefühle für Brandt verzeichnet kein Geschichtsbuch, die Große Koalition schon. Wären sie miteinander ins Gespräch gekommen, wäre das eine Entspannungspolitik nach innen gewesen, eine subjektive Abrüstungspolitik im stählernen Gehäuse der Macht.
    Haben Brandt und Schmidt nicht immer ihren Platz in der Geschichte gesucht? Hatten sie sich nicht selbst früh und selbstbewusst als Akteure im historischen Schaltraum begriffen, und hatten sie nicht beide ein ausgeprägtes historisches Interesse, immer auf der Suche nach vergleichbaren Figuren, Konstellationen, Lösungen und berühmten Weltlenkern? Gering haben die beiden nie von sich gedacht, aber jeder aus ganz anderen Gründen, in ganz anderer Haut. Der Blick von außen auf sich selbst, dieses Sich-von-außen-Betrachten und Sich-mit-den-Augen-der-Welt-Betrachten war ihnen doch ein geläufiges Manöver. Hätten sie ihr Fremdsein, ihr Aneinanderleiden, ihre Sprachlosigkeit nicht thematisieren können?
    Gefühle aber, die man nicht selbst kontrolliert und strategisch zum Einsatz bringt, haben in der Politik vermutlich nichts verloren, erst recht nicht zwischen Parteifreunden, die sich als Rivalen zu betrachten haben. In unserem Gespräch über Willy Brandt lag Schmidt daran, sich deutlich von Brandt abzugrenzen, seinen Innenraum betrat er nicht, mutmaßen wollte er nicht; wie er Brandt sah, lässt sich eher aus seinen Selbstbildern schließen. An einer Stelle unseres Gesprächs kamen wir auch auf den Kanzlerkandidaten der SPD zu sprechen, der nach Schmidts Auffassung viel zu schnell rede, eine gefährliche Eigenschaft. Er hingegen habe zwar auch sehr schnell denken können, aber noch in der wüstesten Polemik hätte die Rationalität die Oberhand behalten, und er habe stets eine Sekunde zuvor überlegt, ob diese oder jene Aussage nun zweckmäßig sei. Nie habe er etwas gesagt, was er später bereuen habe müssen. Helmut Schmidt ist ein selbstkritischer Mann, aber das lässt er niemanden wissen, mit Fragezeichen ummantelt hat er sich nie in der Öffentlichkeit blicken lassen. Schmidt ist das unbeugsame Ausrufezeichen dieses Landes, und Willy Brandt war das biegsame, das vielgestaltige Fragezeichen!

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Konfliktpartner und

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